Frostnacht
auf die Tatsache, dass wir verwandt sind.«
Rory schien diese Aussage überhaupt nicht zu überraschen. »Ja. Dann waren dein Dad und mein Dad eben Brüder. Und? Deswegen gehören wir noch lange nicht zu einer Familie. Nicht wirklich.«
»Aber willst du denn nichts über mich wissen?«, fragte ich. »Über meinen Dad? Über den Rest meiner Familie?«
Sie lachte bitter. »Nicht wenn sie sind wie meine Eltern. Außerdem weiß ich schon alles über dich. Alle reden seit Wochen von dir. Seit wir von dem Schnitterangriff auf das Kolosseum in der Nähe der Akademie in North Carolina gehört haben. Angeblich bist du eine große Kriegerin, Nikes Champion und so.« Sie schnaubte. »Bis jetzt bin ich nicht sonderlich beeindruckt.«
Ich kniff die Augen zusammen. »Hast du mir deswegen im Zug das Leben gerettet? Weil du nicht beeindruckt warst? Weil du dachtest, ich könnte mich nicht selbst verteidigen?«
Ihre Augen glitzerten kalt und hart. »Ich habe dir das Leben gerettet, weil die Schnitter dich tot sehen wollten. Was auch immer sie wollen, ich will das Gegenteil.«
»Wirklich?«, fragte ich. »Warum haben die anderen Schüler dann beim Verlassen des Zuges über dich geredet, als würdest du mit den Schnittern zusammenarbeiten? Warum sollten sie das denken, wenn du doch gerade meinen Freunden und mir dabei geholfen hast, eine ganze Horde von bösen Kriegern zu besiegen?«
Rory legte den Kopf schief und sah mich fragend an. »Du weißt wirklich nichts, oder? Über die Forsetis?«
»Mein Dad ist gestorben, als ich gerade mal zwei Jahre alt war. Ich erinnere mich nicht mal an ihn, und meine Mom hat nicht allzu viel über ihn geredet.«
Rory stieß ein bitteres Lachen aus. »Natürlich hat sie das nicht. Sei froh. Damit hat sie dir einen Gefallen getan.«
Mit jedem Wort, das dieses Mädchen aussprach, wurde ich wütender. »Hör zu. Ich will doch nur ein paar Infos über meinen Dad. Und über dich, wenn du Lust hast, mir ein bisschen was zu erzählen. Meine Mom wurde letztes Jahr von Schnittern ermordet, und seitdem gibt es nur mich und meine Grandma. Doch jetzt komme ich hierher und erfahre, dass ich eine Cousine habe – die um einiges mehr über meinen Dad zu wissen scheint als ich. Kannst du mir da wirklich vorwerfen, dass ich neugierig bin?«
Nach einem Moment nickte sie fast widerwillig. »Nein, wahrscheinlich nicht.«
»Warum lässt du dann nicht die feindselige Haltung fallen und erzählst mir, was du weißt?«
Sie musterte mich noch einen Augenblick, wobei sie mir ins Gesicht starrte, als könnte sie allein an meiner Miene ablesen, ob ich die Wahrheit sprach. Ich fragte mich schon, ob sie neben ihren spartanischen Kampffähigkeiten noch eine andere magische Begabung besaß. Vielleicht war sie sogar eine Gypsy wie ich und war von einem der Götter mit Magie beschenkt worden.
»Du willst etwas über die Forsetis erfahren?«, blaffte Rory schließlich. »Hol deine Freunde, Prinzessin, und ich zeige dir genau, was es hier bedeutet, diesen Familiennamen zu tragen.«
Rory und ich verließen die Regalreihen. Meine Freunde saßen vor dem Kamin und versuchten ein wenig zu schlafen, doch als sie unsere Schritte hörten, richteten sie sich alle auf und sahen zwischen Rory und mir hin und her.
»Sieh an, sieh an!«, sagte Oliver. »Anscheinend hat Gwen eine neue Freundin gefunden.«
»Halt die Klappe, Spartaner«, blaffte Rory. »Oder ich lasse dich deine eigene Faust fressen.«
Oliver richtete sich gerader in seinem Sessel auf. »Ich würde gerne sehen, wie du es versuchst.«
Ich verdrehte genervt die Augen. »Hört endlich auf zu sticheln. Können wir uns das nicht einfach sparen?«
Oliver und Rory ignorierten mich, um sich stattdessen weiter böse anzustarren. Rory öffnete den Mund, wahrscheinlich um Oliver zu einem Kampf herauszufordern, aber in dem Moment ging quietschend die Tür zum gläsernen Bürokomplex auf. Ajax und Covington traten heraus und kamen zum Kamin.
»Stimmt etwas nicht?«, fragte der Bibliothekar, während er zwischen Rory und mir hin- und hersah.
»Oh, alles ist prima«, antwortete ich. »Tatsächlich hat Rory gerade angeboten, meine Freunde und mich auf dem Campus herumzuführen, während Sie und Ajax arbeiten.«
Covington runzelte die Stirn. »Hat sie das?«
Rory wollte den Mund öffnen, aber ich schlug ihr fest genug auf die Schulter, dass sie um ein Haar gegen Ajax gestolpert wäre.
»Und wie sie das hat«, sagte ich.
Rory zog eine Grimasse, aber sie widersprach meiner Lüge
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