Frostnacht
glänzendem Besteck gedeckt waren. Stattdessen standen hier große, rechteckige Tische aus demselben Holz, das ich schon in der Bibliothek bemerkt hatte. Auch die Wände bestanden zum Teil aus Kiefernholz, im Wechsel mit den vertrauten, schwärzlichen Natursteinen. An den Wänden hingen nur ein paar Bilder, überwiegend Impressionen von Gebirgslandschaften. Wieder erinnerte alles ein wenig an den Wilden Westen.
Das Einzige, was ein wenig an zu Hause erinnerte, war ein offener Garten in der Mitte des riesigen Raums. Doch anstelle von Weinstöcken standen hier die verschiedensten immergrünen Bäume, denen es irgendwie gelang, zwischen schweren Felsbrocken zu wachsen. Ein schmaler Bachlauf schlängelte sich durch den Garten, plätscherte über einen der Felsen nach unten und bildete an seinem Fuß einen kleinen Teich. Am Rande des Wassers standen verschiedene Steinstatuen. Überwiegend stellten sie Tiere dar: Bären, Hasen und Enten, doch ich entdeckte auch eine Darstellung des indianischen Schelmengottes Kojote unter ihnen. Rechts und links des Wasserfalles kauerten zwei Greifen und sahen auf die anderen Figuren hinunter, als wollten sie die Wesen vor Gefahren beschützen.
Rory führte uns ans äußerste Ende des Raums, wo die Schüler an der Essensausgabe anstanden. Wir hatten den Raum als Letzte betreten, also standen wir am Ende der Schlange. Meine Freunde und ich schnappten uns ein paar gläserne Tabletts und reihten uns ein. Langsam schoben wir uns weiter. Die anderen füllten ihre Tabletts mit einem Gericht nach dem anderen, aber meines blieb leer.
Leber, Kalbfleisch, Schnecken, irgendeine Art von Meeresfrüchtesalat mit gedünsteten Muscheln. Alles kunstvoll in weißen Schüsseln angerichtet und verziert mit Karotten in Form von Sonnenblumen, grünen Peperoni, die sich wanden wie Efeuranken, und Pfefferkörnern, die auf den dampfenden Essenhaufen ein wenig wirkten wie dunkler Schnee.
Ich seufzte. Ich hatte gehofft, das Essen hier sei ein wenig, na ja, normaler, aber es war dasselbe überkandidelte Zeug, das sie zu Hause servierten. Aus irgendeinem Grund liebten Mythos-Schüler solches Etepetete-Essen. Endlich entdeckte ich ein paar Cheeseburger, auch wenn auf dem Schild daneben stand, es seien Bison-Burger. Eigentlich wollte ich kein Bison essen, aber da das noch das einfachste Essen auf der Speisekarte war, schnappte ich mir einen Burger, zusammen mit Käsepommes, einem Buttermilch-Ranch-Dip, einer Flasche Cranberry-Saft und einem großen Stück dunklem Schokoladenkuchen als Dessert.
Endlich erreichten wir das Ende der Schlange. Der Rest meiner Freunde hatte bereits bezahlt und wartete darauf, dass Rory und ich dasselbe taten. Rory ging vor mir. Sie wurde langsamer, als wollte sie ihr Essen eigentlich nicht bezahlen, aber schließlich schlurfte sie zur Kasse.
Die Frau hinter der Registrierkasse lebte bei Rorys Anblick förmlich auf. Sie war nicht viel älter als wir – vielleicht Mitte zwanzig –, aber unglaublich hübsch mit langem, glänzendem schwarzem Haar, grünen Augen und einer Haut wie Porzellan. Sie trug die weiße Uniform eines Küchenchefs, und ich fragte mich, ob sie bei der Zubereitung der Speisen geholfen hatte.
»Hi, Rory«, sagte die Frau. »Wie läuft die Schule heute?«
»Hey, Tante Rachel«, murmelte Rory. »Alles prima.«
Tante Rachel? Das musste die Tante sein, von der Grandma Frost mir erzählt hatte. Die Schwester von Rorys Mutter. Die einzige Familie, die das Mädchen noch besaß. Na ja, abgesehen von mir.
Rachels Blick huschte zu mir, und sie bemerkte, wie nah ich hinter ihrer Nichte stand. Sofort wurde sie noch ein wenig fröhlicher. »Und wer ist deine neue Freundin?«
»Hallo«, sagte ich gutgelaunt, einfach um Rory zu nerven. »Ich bin Gwen.«
Rory warf mir einen bösen Blick zu, aber Rachel bemerkte es nicht. Stattdessen nahm sie meine Hand in ihre.
Und einen Augenblick später trafen mich ihre Gefühle.
Normalerweise achtete ich sorgfältig darauf, keine Leute zu berühren, da meine Psychometrie sich in dem Moment einschaltete, da ich auch nur für einen Moment mit der Haut einer anderen Person in Kontakt kam. Aber Rachel hatte mich mit ihrem spontanen, enthusiastischen Händeschütteln überrascht. Ich dachte darüber nach, ihr meine Hand zu entziehen, entschied mich dann aber dagegen. Ich hatte eine Menge Fragen und nicht viel Zeit, um Antworten darauf zu finden, da wir schon morgen früh aufbrechen würden, um zu den Ruinen aufzusteigen. Ich wollte mehr über
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