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Frostnacht

Frostnacht

Titel: Frostnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Estep
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Grimasse und drängte das Gefühl zur Seite, um mich weiter im Geist des Greifs zu versenken. Ich wollte einen Weg finden, die Kreatur dazu zu bringen, mir lange genug zu vertrauen, dass ich, Daphne und Rory die Fallen von ihrem – seinem – Bein lösen konnten.
    Der Greif versuchte sich mir zu entziehen, aber ich hielt ihn so sanft wie möglich fest. Nur schwach war mir bewusst, dass er sein Gesicht vor meines schob und seinen Schnabel kurz vor meiner Nase zuschnappen ließ, um mir zu sagen: Lass los oder  … Aber ich hielt den Kontakt aufrecht. Ich bezweifelte, dass es mir noch einmal gelingen würde, ihn zu berühren, wenn ich die Hand jetzt von der Pfote des Greifs löste. Und dann würden wir ihm nie helfen können.
    Also packte ich ihn fester und griff wieder nach meiner Psychometrie. Ein Bild nach dem anderen schoss durch meinen Kopf, als sähe ich einen Zeitrafferfilm, der vom Leben des Greifs handelte. Die meisten der Erinnerungen zeigten den Greif hoch am blauen Himmel, während mich ein Gefühl von Staunen und Wildheit erfüllte – begleitet von tiefem Frieden. Es gab nichts, was ihm besser gefiel, als die Flügel weit auszubreiten und in den Luftströmungen zu kreisen, die von den Berghängen aufstiegen. Doch ich empfing auch andere Bilder und Geräusche, überwiegend von erwachsenen Greifen, die wie in einer Formation mit ihm flogen. Und schließlich sah ich einen anderen Greif, der größer, stärker und wilder wirkte als all die anderen. Der Anführer der Gruppe – und der Vater des Babygreifs vor mir. Mehr als alles andere wünschte sich der kleine Greif, einmal so groß, stark und zäh zu werden wie sein Dad. Diese Gedanken, Gefühle und Bilder zauberten ein Lächeln auf meine Lippen.
    Langsam, ganz langsam übertrug ich meine Gedanken auf den Greif, in dem Versuch, ihn spüren zu lassen, dass ich eine Freundin war und kein Schnitter, der ihn einfangen und für immer von seiner Familie fortreißen wollte. Ich zeigte der Kreatur Bilder davon, wie ich in der Bibliothek der Altertümer, dem Kreios-Kolosseum und all den anderen Orten gegen Schnitter gekämpft hatte. Doch diese Bilder schienen ihn nur zu verwirren, also konzentrierte ich mich stattdessen auf meine Erinnerungen an Nott und zeigte ihm diese Bilder.
    Doch auch das funktionierte nicht. Der Greif kreischte mir ins Ohr und schlug mit den Flügeln gegen meinen Körper, um mich wegzutreiben. Es war, als fürchtete er, der Fenriswolf könnte aus meinen Gedanken springen und ihn angreifen. Also zeigte ich ihm stattdessen Bilder davon, wie ich mit Nyx spielte. Doch nichts konnte das Misstrauen des Greifs beruhigen, und ich spürte, dass er darüber nachdachte, mich erneut anzugreifen.
    Schließlich rief ich in meiner Verzweiflung all die Erinnerungen an die Greifenstatuen neben der Treppe zur Bibliothek der Altertümer auf. Sofort verstummte der Babygreif. Ich ließ ihn fühlen, für wie schön ich die Statuen hielt, für wie edel, majestätisch, tapfer, stark und wild. Und am deutlichsten versuchte ich ihm zu zeigen, dass ich die Greifen als meine schweigsamen Freunde betrachtete und dass ich auch ihm eine Freundin sein wollte.
    Es war so verdammt schwer, besonders da der Greif weiter mit den Flügeln gegen mich schlug und versuchte sich mir zu entwinden. Schweiß lief mir über das Gesicht, aber ich hielt die Stellung und verwendete all meine Energie, all meine Konzentration, all meine Magie darauf, den Greif zu erreichen und zu beruhigen. Schließlich fühlte ich, wie die Kreatur sich beruhigte, und spürte das Verständnis, dass ich ihr nicht wehtun würde; dass ich lediglich die Falle von seinem Bein entfernen wollte. Das musste für den Moment reichen. Mir fehlte einfach die Kraft für mehr.
    Ich öffnete die Augen, ließ die Pfote des Greifs los und wischte mir den kalten Schweiß von der Stirn. Dann sah ich über die Schulter zu Daphne zurück. »Okay. Du kannst jetzt die Falle von seinem Bein lösen. Er wird uns nicht beißen.«
    Rory sah mit aufgerissenen Augen erst mich und dann den Greif an. »Wie hast du das gemacht? Gerade dachte ich noch, er würde dir jede Sekunde die Nase abreißen und dich mit seinen Flügeln totschlagen. Aber jetzt wirkt er wie ein Welpe, den man streicheln kann.«
    Sie hatte recht. Der Greif hatte sich auf die Seite fallen lassen und streckte mir seinen weichen Bauch entgegen. Ich ließ die Finger sanft über das weiche, bronzefarbene Fell gleiten, bevor ich die Hand hob und ihm den Kopf kraulte. Nyx

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