Frostnacht
in den Himmel schoss, ziemlich erstaunlich gewesen.
»Also das war seltsam«, meinte Rory. »Macht ihr ständig solche Sachen?«
»Öfter, als man glauben sollte«, antwortete Daphne.
Rory wanderte ein Stück zur Seite, ging in die Hocke und starrte das Tellereisen an, das Daphne zur Seite geworfen hatte. Daphne und ich betrachteten es ebenfalls. Wie Rory schon gesagt hatte, sah es aus wie eine Bärenfalle – aber mit mehr Zähnen. Das Blut des Greifs glitzerte an ein paar der scharfen Metallzacken, und der Anblick ließ Übelkeit in mir aufsteigen.
Daphne stieß mich mit der Schulter an. »Willst du dein Ding damit machen? Vielleicht liefert sie uns einen Hinweis auf die Schnitter.«
Ich wollte mein Psychometrie eigentlich nicht auf die Falle anwenden, aber meine Freundin hatte recht. Also kauerte ich mich auf den Boden und berührte einen Teil des Metalls, der nicht mit Blut verschmiert war. In meinem Geist flackerten Bilder des Greifs auf, der versuchte sich zu befreien, aber ich schob sie zur Seite, um zu sehen, wer die Falle überhaupt erst hier versteckt hatte. Eine Weile sah ich nur, wie die Falle auf dem Waldboden lag, versteckt unter einem kleinen Haufen Blätter, auf die Schnee gefallen war. Ich konzentrierte mich, um noch weiter zurückzugehen.
Zwei Hände tauchten vor meinem inneren Auge auf. Ich konzentrierte mich auf die Erinnerung, versuchte das Bild so scharf wie möglich zu stellen, aber ich sah nur, wie jemand die Falle im Wald ablegte und Laub darüber häufte. Frust breitete sich in mir aus, weil ich die Person nicht mal sah – sondern nur ihre Hände. Und noch schlimmer, sie trug schwarze Handschuhe, sodass ich nicht mal den kleinsten Hinweis darauf empfing, wem die Hände gehörten … ob nun einem Mann, einer Frau oder jemandem in meinem Alter.
Ich öffnete die Augen, ließ die Falle los und stand auf.
»Irgendwas?«, fragte Daphne.
Ich schüttelte den Kopf und zog meine Handschuhe wieder an. »Nichts. Irgendein Schnitter, der die Falle hier versteckt hat.«
Rory starrte das Schlageisen an, dann trat sie fest genug dagegen, dass es gegen den nächsten Baum knallte. Sie musterte das Metall mit bösem Blick, als wünschte sie sich, sie könnte es irgendwie umbringen. Daphne und ich wechselten einen Blick, hielten aber den Mund. Wir wussten genau, wie es sich anfühlte, wütend auf die Schnitter zu sein und nichts dagegen tun zu können.
Daphne bückte sich und schnappte sich ihren Bogen. »Nun, wenn wir jetzt damit fertig sind, Tierarzt zu spielen, sollten wir gehen. Die anderen warten sicher schon.«
Rory, Daphne und ich gingen zurück zum Bach. Anscheinend hatten alle ihr eigenes Ding durchgezogen, sodass niemand bemerkt hatte, wie lange wir weg gewesen waren. Oliver sah nicht mal von seinem Handy auf, als wir an ihm vorbeigingen. Er simste schon wieder. Ich war überrascht, dass er so weit oben überhaupt Empfang hatte, aber hey, schön für ihn.
Fünf Minuten später waren alle bereit zum Aufbruch, und wir kehrten auf den steilen, gewundenen Pfad zurück. Ich sah mich nach rechts und links um und blickte sogar in die Wolken über mir, doch ich konnte den Babygreif nirgendwo entdecken. Außerdem fand ich keinen Hinweis auf den mysteriösen Schatten, der uns am Anfang der Wanderung im Wald gefolgt war. Vielleicht war es ja doch ein neugieriges Tier gewesen, das sich fragte, warum Menschen in seinem Revier herumstampften.
Ab und zu entstand ein kurzes Gespräch, doch überwiegend schwiegen wir. Meine Freunde spähten ständig in den Wald um den Pfad, und Ajax warf immer wieder Blicke über die Schulter zurück, als rechne er damit, dass etwas uns von hinten angriff. Jeder von uns hielt seine Waffe griffbereit – nur für den Fall, dass die Schnitter schon vor den Ruinen einen Angriff starteten.
Doch die Minuten vergingen, dann eine Stunde, ohne dass die Schnitter sich sehen ließen. Ich stand kurz davor, jammernd zu fragen, wie weit wir noch laufen mussten, als wir den höchsten Punkt eines Bergrückens erreichten. Die anderen wurden langsamer, dann hielten sie ganz an, und wir stellten uns nebeneinander, um alle die Aussicht vor uns zu betrachten.
Eine Hängebrücke zog sich schwankend, unsicher und schlaff über eine breite, tiefe Schlucht. Auf der anderen Seite ragten die zerfallenen Reste von etwas auf, was wohl einst ein Herrenhaus gewesen war.
»Wir sind da«, sagte Rachel. »Willkommen in den Eir-Ruinen.«
Covingtons Bilder wurden diesem Ort nicht gerecht.
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