Frostnacht
genauso.«
Ajax blickte uns einen nach dem anderen an. Was auch immer er in unseren Augen sah, es schien ihn zufriedenzustellen, denn schließlich nickte er. »In Ordnung«, sagte er. »Los geht’s.«
Wir stiegen aus dem Wagen. Für mich fühlte sich die Luft noch kälter an als gestern, aber das konnte auch daran liegen, dass ich genau wusste, dass heute Abend keine warme Dusche und kein warmes Bett auf mich warteten. Stattdessen mussten wir irgendwo in den Ruinen ein Lager aufschlagen. Das bedeutete ein Feuer, ein paar Zelte und ein Schlafsack direkt auf dem schneebedeckten, steinigen Boden – und das auch nur, wenn die Schnitter uns nicht vorher angriffen.
Rachel führte uns über den Parkplatz zum Beginn eines Wanderwegs, der mit einem kleinen Schild markiert war. Ein Großteil der Farbe war dem Wind zum Opfer gefallen, doch ich konnte noch die Figur der Göttin Eir erkennen, deren Finger nach oben zeigte, als wollte sie uns persönlich den Weg zu den Ruinen weisen. Ich zitterte, schnallte meinen Rucksack fest und reihte mich hinter den anderen ein.
Rachel führte unsere Gruppe an, gefolgt von Rory und Covington. Daphne und Carson gingen hinter dem Bibliothekar, danach kamen Oliver und Alexei. Ich folgte am Ende der Gruppe mit nur noch Ajax in meinem Rücken. Wir wanderten schweigend.
Ich war eigentlich kein Mädchen für die freie Natur – ich rollte mich viel lieber in meinem Zimmer zusammen, um Comics und Graphic Novels zu lesen –, aber selbst ich musste zugeben, dass es ein schöner Ort für eine Wanderung war. Auf dem Berg lag mehr Schnee als unten bei der Akademie, in manchen Schneeverwehungen bis zu fünfzehn Zentimeter mehr. Schneebedeckte Kiefern säumten unseren Weg. Nadeln, länger als meine Finger, und Zapfen von der Größe meiner Faust ragten hier und dort aus der weißen Decke. In der Luft hing der scharfe Geruch von Kiefernharz, der sich mit dem frischen Duft des Schnees vermischte. Ein paar Vögel schossen zwischen den Ästen hin und her und zwitscherten sich gegenseitig etwas zu.
Ab und zu glitt ein dunkler Schatten über den Weg und über den Wald, und die Vögel zogen sich, begleitet von Warnschreien, in ihre sicheren Verstecke zurück. Als das das dritte Mal passierte, sah ich nach oben, um herauszufinden, was die Vögel so erschreckte.
Ajax berührte mich leicht an der Schulter. »Greife«, erklärte er. »Mach dir keine Sorgen. Sie greifen nur selten Menschen an und fast nie große Gruppen.«
Nun, das beruhigte mich nicht unbedingt, aber ich nickte und ging weiter. Mir blieb schließlich keine andere Wahl.
Doch je höher wir stiegen, desto mehr war ich davon überzeugt, dass jemand uns folgte.
Ich weiß nicht genau, wann ich es zum ersten Mal bemerkte, doch ich spürte einen Schatten zu meiner Linken, der sich parallel zu uns durch den Wald bewegte. Eine vage Gestalt, die ich fast im Augenwinkel sehen konnte. Wenn ich schneller wurde, beschleunigte auch der Schatten. Wenn ich meine Schritte verlangsamte, tat er dasselbe. Mehrmals starrte ich geradeaus, um dann schnell den Kopf nach links zu reißen, weil ich hoffte, so einen Blick auf den Schatten zu erhaschen. Doch jedes Mal sah ich nur Bäume und noch mehr Bäume. Falls Ajax mein Verhalten für seltsam hielt, kommentierte er es zumindest nicht. Allerdings war das auch bei Weitem nicht das Seltsamste, was ich je getan hatte.
Schließlich wurde ich es leid, einen Blick auf den mysteriösen Schatten erhaschen zu wollen, und konzentrierte mich darauf, ein Bein vor das andere zu setzen. Falls dort draußen ein Schnitter oder jemand anderes lauerte, schien er damit zufrieden, uns zu folgen, ohne uns anzugreifen. Wahrscheinlich musste ich das einfach akzeptieren – für den Moment.
Wir wanderten vielleicht seit einer Stunde, als Rachel neben einem kleinen Bachlauf anhielt. Das Wasser plätscherte träge über die Steine, da die Oberfläche größtenteils gefroren war. Es war trotzdem eine hübsche Stelle für eine Pause. Wir setzten uns auf die flachen Felsen neben dem Bachlauf und zogen ein paar Snacks aus unseren Rucksäcken.
»Wir sollten alle eine Weile durchatmen«, sagte Rachel. »Wir müssen noch mal mindestens eine Stunde wandern, bevor wir die Ruinen erreichen.«
Wir hatten uns am Morgen ein wenig Studentenfutter aus dem Speisesaal mitgenommen, und ich schaufelte mir eine Portion in den Mund. Getrocknete Mango- und Aprikosenstücke vermischt mit sauren Kirschen, großen Stücken Schokolade, Mandelsplittern und in
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