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Frostnacht

Frostnacht

Titel: Frostnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Estep
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zu Boden, als wollte er sich bereitmachen, mich anzuspringen und in Stücke zu reißen.
    Zuerst fragte ich mich, was mit der Kreatur nicht stimmte, doch dann entdeckte ich den Grund für die Schreie. Ihr rechter Hinterlauf war in einer metallenen Falle gefangen. Wobei Falle ein zu harmloses Wort war. Dieses Ding hatte so viele Metallzähne, dass es eher wirkte wie ein Folterinstrument. Der Greif musste auf den Auslöser getreten sein, und die scharfen Metallspitzen hatten sich tief in sein Fleisch gegraben. Die Falle war mit einer dicken Kette an einem Baum befestigt, um den Greifen davon abzuhalten, einfach davonzufliegen. Die Kreatur musste schon eine Weile gefangen sein, denn das Blut in ihrem Fell war bereits geronnen.
    »Es ist okay«, rief ich meinen Freunden zu. »Es sind keine Schnitter.«
    Schnee knirschte, dann traten Daphne und Rory neben mich.
    »Das ist ein Tellereisen«, sagte Rory angewidert. »Ähnelt einer Bärenfalle, hat aber mehr Zähne. Schnitter verstecken sie in den Wäldern, um Greife zu fangen. Oder Fenriswölfe. Je mehr man gegen den Halt der Falle kämpft, desto tiefer graben sich die Metallzähne ins Fleisch.«
    Beim Klang von Rorys Stimme peitschte der Schwanz des Babygreifs von rechts nach links, und er musterte jeden von uns genau. Er kniff die bronzefarbenen Augen noch weiter zusammen und bewegte sich bis auf den peitschenden Schwanz gar nicht mehr. Plötzlich sprang die Kreatur durch die Luft, die Krallen nach meiner Kehle ausgestreckt …
    Doch die am Baum befestigte Kette riss den Greifen zurück, sodass er vielleicht zwei Meter vor mir auf den Boden knallte. Die Kreatur kreischte vor Überraschung und Schmerz, doch ich konnte auch ein Wimmern in dem Ruf hören. Trotz seines mutigen Auftretens war der Greif verängstigt, müde und hatte Schmerzen. Ich kannte diese Gefühle nur zu gut. Schnitter und ihre bösartigen Pläne hatten diese Auswirkung auf so gut wie jeden.
    »Ruhig, Junge«, sagte ich, zog meine Handschuhe aus, streckte die rechte Hand aus und näherte mich dem Tier langsam. »Wir sind nicht hier, um dir wehzutun. Wir werden dieses scheußliche Ding von deinem Bein entfernen.«
    »Was tust du da?«, zischte Rory. »Dieser Greif wird dir die Hand abbeißen, wenn du ihm zu nahe kommst. Nur für den Fall, dass du es nicht bemerkt hast: Er hätte dir die Kehle herausgerissen, wenn die Kette ihn nicht zurückgerissen hätte. Bist du vollkommen verrückt?«
    »Darf ich dir Gwen vorstellen?«, stichelte Daphne. »Wahnsinn ist voll ihr Ding. Glaub mir, neben einigen von den Aktionen, die sie schon gebracht hat, ist das hier lächerlich.«
    Ich warf meiner Freundin einen bösen Blick zu, dann drehte ich mich wieder zu dem Greif um. »Er ist doch nur verängstigt und verwirrt«, sagte ich. »Deswegen hat er versucht, mich anzugreifen. Ich werde ihn nicht hierlassen, damit die Schnitter ihn finden können. Du weißt genauso gut wie ich, was sie diesem kleinen Kerl antun.«
    »Okay, okay. Spiel die Heldin«, murmelte Daphne. »Aber mach mir keine Vorwürfe, wenn es schiefgeht.«
    Ich gab der Walküre Vic. Dann kauerte ich mich auf Hände und Knie, um mich auf der Augenhöhe des Greifs zu bewegen, und kroch langsam auf ihn zu. Die Kreatur saß auf den Hinterpfoten und beobachtete meine Annäherung noch wachsamer als vorher. Ihre Klauen gruben sich in den schneebedeckten Boden, als denke sie darüber nach, mich noch einmal anzuspringen. Ich konnte das Misstrauen in den Augen des Greifs erkennen, aber dagegen würde ich etwas unternehmen – selbst wenn er wieder nach mir schlug.
    Näher und näher kroch ich heran. Inzwischen hätte der Greif längst nach vorne springen und mich mit seinen Krallen attackieren können – und zwar mühelos. Stattdessen beobachtete die Kreatur mich genau. Vielleicht fühlte der Greif, dass ich kein Feind war. Vielleicht ahnte er, dass ich ihm helfen wollte. Oder vielleicht wollte er mich einfach nur so nah wie möglich herankommen lassen, um so viel Schaden wie möglich anrichten zu können. Ich würde es gleich herausfinden. Jetzt war ich nur noch einen Meter von dem Tier entfernt, dann einen halben …
    Ich holte tief Luft, warf mich nach vorne und legte eine Hand auf die Vorderpfote des Greifs.

Das Erste, was meinen Kopf erfüllte, waren die Schmerzen des jungen Greifs.
    Jede winzige Bewegung, jede kleine Gewichtsverlagerung, jeder flache Atemzug schien die Eisenzähne der Falle ein wenig tiefer im Hinterlauf der Kreatur zu vergraben. Ich zog eine

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