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Frostnacht

Frostnacht

Titel: Frostnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indridason
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für dich gewesen, mit so etwas auf dem Gewissen.«
    »Ich … Mir ging es damals ziemlich dreckig. Da war so einiges, was …«
    »Du musst mir das nicht sagen.«
    »Sie ließen sich scheiden«, fuhr Sigurður Óli fort, »meine Eltern. Genau in diesem Sommer.«
    »Ach so«, sagte Erlendur.
    »Ich bin mit meiner Mutter von zu Hause ausgezogen. Wir haben nur zwei Jahre hier in diesem Viertel gewohnt.«
    »Kinder leiden sehr darunter, wenn Eltern sich scheiden lassen.«
    »Hast du mit diesem Werklehrer über mich gesprochen?«, fragte Sigurður Óli.
    »Nein, er erinnerte sich nur an dich«, sagte er, »an dich und diesen Krawall.«
    »Hat er meinen Vater erwähnt?«
    »Kann sein«, antwortete Erlendur vorsichtig.
    »Mein Vater arbeitete damals von früh bis spät. Ich glaube, er hat nie verstanden, weshalb sie ihn verlassen hat.«
    »Hat das eine lange Vorgeschichte gehabt?«, fragte Erlendur, der sich sehr wunderte, dass Sigurður Óli mit ihm über diese Dinge sprach.
    »Die Vorgeschichte kenne ich nicht. Ich weiß immer noch nicht richtig, was eigentlich vorgefallen ist. Meine Mutter wehrte sich dagegen, darüber zu reden.«
    »Du bist ein Einzelkind, nicht wahr?«
    Erlendur erinnerte sich, dass Sigurður Óli das irgendwann einmal erwähnt hatte.
    »Ich war viel allein zu Haus«, sagte Sigurður Óli und nickte zustimmend. »Besonders nach der Scheidung und dem Auszug. Und dann sind wir wieder umgezogen. Wir sind danach dauernd umgezogen.«
    Sie schwiegen eine Weile.
    »Komisch, nach all diesen Jahren wieder an diesen Ort zu kommen«, sagte Sigurður Óli.
    »Kleine Welt, kleine Stadt.«
    »Was hat er über meinen Vater gesagt?«
    »Nichts weiter.«
    »Papa war Klempner. Er wurde der Dauertropf genannt.«
    »Was du nicht sagst«, erwiderte Erlendur und tat so, als würde er das erste Mal davon hören.
    »Egill konnte sich gut an mich erinnern, das habe ich gleich gesehen. Ich kann mich auch gut an ihn erinnern. Wir hatten alle ein bisschen Bammel vor ihm.«
    »Mit dem ist nicht gut Kirschen essen«, sagte Erlendur.
    »Ich weiß, dass Papa so genannt wurde. So war er auch. Man konnte sich über ihn lustig machen. Manche sind einfach so. Er hatte nichts dagegen. Ich konnte es nicht ertragen.« Sigurður Óli sah Erlendur an.
    »Ich habe mich immer darum bemüht, all das zu sein, was er nicht war.«
    Die kleine Frau, die auf die siebzig zuging, nahm Erlendur mit einem Lächeln an der Tür in Empfang. Ihr dichtes, braunes Haar fiel ihr bis auf die Schultern. Aus ihren freundlichen Augen sprach völlige Verständnislosigkeit über diesen Besuch. Erlendur war allein. Er hatte sich in der Mittagszeit auf gut Glück auf den Weg gemacht. Die Frau wohnte in Kópavogur und hieß Emma. Mehr wusste er nicht.
    Er stellte sich vor, und als sie hörte, dass er von der Kriminalpolizei war, führte sie ihn in ihr überheiztes Wohnzimmer. Er beeilte sich, den Mantel auszuziehen, und knöpfte sich das Jackett auf. Draußen waren minus neun Grad. Sie nahmen Platz. Die Frau strahlte eine Bedächtigkeit aus, die zu erkennen gab, dass sie alleinstehend war.
    »Hast du immer allein gelebt?«, fragte er, um das Eis zu brechen, und merkte erst viel zu spät, dass die Frage reichlich aufdringlich war. Der Meinung schien sie auch zu sein.
    »Ist das etwas, was die Polizei unbedingt wissen muss?«, fragte sie und drückte sich dabei so aus, dass er nicht wusste, ob sie sich über ihn lustig machte oder nicht.
    »Nein«, sagte Erlendur verlegen, »selbstverständlich nicht.«
    »Und was will die Kriminalpolizei von mir?«, fragte die Frau.
    »Wir sind auf der Suche nach einem Mann«, sagte er. »Er war früher einmal dein Nachbar, du hast im gleichen Haus gewohnt. Das ist aber so lange her, dass ich nicht weiß, ob du dich noch an ihn erinnern kannst. Ich wollte es aber auf einen Versuch ankommen lassen.«
    »Hat es etwas mit dieser furchtbaren Sache zu tun, von der sie in den Nachrichten reden, mit diesem toten Jungen?«
    »Nein«, sagte Erlendur, der nicht der Ansicht war, dass er log. Er wusste nicht genau, wonach er eigentlich suchte, wusste nicht, weshalb er in das Leben dieser Frau eindrang. »Ganz einfach schrecklich, dass so etwas passieren kann«, sagte die Frau. »So über ein Kind herzufallen, das ist eine ganz und gar unbegreifliche Grausamkeit.«
    »Das ist wahr«, pflichtete Erlendur ihr bei.
    »Ich habe nur an drei Orten gelebt«, sagte die Frau, »da, wo ich geboren bin, dann in diesem Haus, von dem du sprichst, und jetzt hier

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