Frostnacht
während einer Stunde gestohlen worden ist?«, fragte er laut.
Egill überlegte. »Fast alle Kinder an der Schule, denke ich«, sagte er.
»Wir müssen ein solches Messer fotografieren und das Foto weiterleiten«, sagte Erlendur.
»Ist das der Junge, nach dem du mich im Auto gefragt hast?«, fragte Egill Erlendur, während er Sigurður Óli anblickte.
Ein schwaches Lächeln zuckte um Erlendurs Lippen. Sigurður Óli hatte den Werklehrer damals provoziert, der sich jetzt an ihm rächen wollte.
»Gehen wir«, sagte Erlendur zu Sigurður Óli.
»Hat er davon erzählt, was 1979 hier an der Schule los war?«, fuhr Egill fort. »Von der Schlägerei?«
Sie waren schon an der Tür. Sigurður Óli öffnete sie und trat in den Korridor hinaus.
»Danke für die Hilfe«, sagte Erlendur, halb zu Egill gewandt. »Die Sache mit dem Messer kann außerordentlich wichtig sein. Wer weiß, was sich daraus ergibt.«
Erlendur sah zu Sigurður Óli hinüber, der gar nicht zu wissen schien, um was es hier ging, und machte Egill die Tür vor der Nase zu.
»Ein unangenehmer Zeitgenosse«, sagte er, während sie den Korridor entlanggingen. »Was war denn das für ein Krawall?«, fragte er dann.
»Ach, nichts«, sagte Sigurður Óli.
»Was ist passiert?«
»Nichts, es waren bloß jugendliche Dummheiten.«
Sie hatten das Schulgebäude verlassen und gingen in Richtung Auto.
»Ich tu mich etwas schwer damit, dich mit jugendlichen Dummheiten in Verbindung zu bringen«, erklärte Erlendur. »Du warst auch gar nicht lange auf dieser Schule. Hat es Ärger gegeben?«
Sigurður Óli stöhnte. Er öffnete die Tür des Wagens und schwang sich hinters Steuer, Erlendur setzte sich auf den Beifahrersitz.
»Ich und drei andere«, sagte Sigurður Óli. »Wir haben uns geweigert, in der Pause hinauszugehen, wir haben uns überhaupt nichts dabei gedacht. Draußen war blödes Wetter, und wir haben einfach gesagt, wir würden nicht rausgehen.«
»Ganz schön bescheuert wart ihr«, sagte Erlendur.
»Wir hatten uns nur den falschen Lehrer ausgesucht«, sagte Sigurður Óli ernst. »Er unterrichtete uns eine kurze Zeit als Vertretungslehrer, und wir kannten ihn gar nicht. Irgendwie ging er uns total auf die Nerven, damit hat’s wohl angefangen. Da gab es aber auch Jungen, die im Unterricht gestört haben und sich über ihn lustig gemacht haben und so etwas. Es stellte sich heraus, dass er keinerlei Humor hatte. Als wir uns weigerten, ist ihm der Kragen geplatzt, und er hat uns wüst beschimpft. Wir waren aber auch nicht auf den Mund gefallen, und je mehr wir uns ihm widersetzten, desto wütender wurde er. Er versuchte, uns mit Gewalt rauszuzerren, aber dagegen haben wir uns natürlich zur Wehr gesetzt. Dann kamen auch noch andere Lehrer dazu, und daraus entwickelte sich eine regelrechte Schlägerei auf allen Korridoren. Verletzte hat es auch gegeben. Irgendwie schienen da alle Dampf ablassen zu wollen, die Schüler an den Lehrern und die Lehrer an den Schülern. Es wurde zwar versucht, Ruhe und Ordnung wiederherzustellen, aber ohne Erfolg, deswegen wurde die Polizei geholt. Es war sogar in den Zeitungen.«
»Und alles war deine Schuld«, sagte Erlendur.
»Ich war daran beteiligt und hatte anschließend für zwei Wochen Schulverbot«, sagte Sigurður Óli. »Wir vier und ein paar andere, die sich bei der Prügelei besonders hervorgetan hatten, kriegten Schulverbot. Mein Vater war stinkwütend.«
Erlendur hatte Sigurður Óli nie zuvor über seinen Vater reden gehört, er hatte ihn nie auch nur beim Namen genannt, geschweige denn so etwas. Erlendur überlegte, ob er sich hier weiter vortasten sollte. Das war alles ganz neu für ihn. Er konnte sich nicht vorstellen, dass Sigurður Óli jemals aus der Schule geflogen war.
»Das … Ich …« Sigurður Óli wollte noch etwas sagen, schien aber nicht zu wissen, wie er es formulieren sollte. »Ich weiß gar nicht, was mit mir los war. Ich war nie zuvor in so etwas hineingeraten, und seitdem habe ich auch nie wieder die Beherrschung verloren.«
Erlendur schwieg.
»Ich war schuld, dass einer der Lehrer sich schwer verletzte«, sagte Sigurður Óli.
»Was ist passiert?«
»Deswegen erinnern sich ja auch alle daran. Er musste ins Krankenhaus eingeliefert werden.«
»Weshalb?«
»Er knallte mit dem Kopf auf den Boden«, sagte Sigurður Óli. »Ich habe ihm ein Bein gestellt, und er landete mit dem Kopf zuerst auf dem Boden. Erst hab ich geglaubt, er würde es nicht überleben.«
»Das wäre schlimm
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