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Frostnacht

Frostnacht

Titel: Frostnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indridason
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gelandet.
    Seitdem er im Recycling-Center arbeitete, hatte er gelernt, die Augen offenzuhalten nach verwertbaren Dingen, die er entweder zu Geld machen oder selber verwenden konnte. Er wusste zwar, dass einige Sammler sich darüber beschwert hatten, dass nicht mehr alles wie vorgeschrieben auf den Markt kam, aber diese komischen Gestalten waren ihm egal. Es brachte ihm einen hübschen Nebenverdienst, wenn er ein Auge darauf hatte, was die Leute wegwarfen, und die Firma bezahlte wahrhaftig kein fürstliches Gehalt. Scheißlöhne für Scheißjobs.
    Es überraschte ihn immer wieder aufs Neue, was die Leute alles wegwarfen, buchstäblich alles. Er selber interessierte sich nicht sonderlich für Bücher, aber er sah immer wieder, wie ganze Bibliotheken in Lieferwagen angekarrt wurden. Oder völlig intakte Möbel, Klamotten, die noch gut in Schuss waren, Küchengeräte und sogar relativ neue Stereoanlagen.
    Den ganzen Tag war trotz Kälte und Nordwind, der an seinem blauen Arbeitsoverall zerrte, ziemlich viel los gewesen. Die Leute entsorgten Müll zu jeder Jahreszeit und bei jedem Wetter und ließen ganze Wagenladungen mit geerbten Hinterlassenschaften zum Recycling fahren. Einer entsorgte seine Badewanne, ein anderer die alte Kücheneinrichtung. Und dann die Typen mit den Dosen. Die mieseste Arbeit war, Dosen und Flaschen entgegenzunehmen. Die Leute versuchten dauernd, einem Lügen aufzutischen, was deren Anzahl betraf. Manchmal, wenn er sich die Mühe machte nachzuzählen – was eine Sauarbeit war – waren es Dutzende von Flaschen weniger als angegeben. Die Leute schämten sich dann nicht einmal, sondern grinsten bloß und sagten, das könnten sie ja gar nicht verstehen.
    Ein Auto fuhr am Tor vor und hielt. Ein großes Schild am Eingang besagte, dass alle dort anhalten und auf Anweisungen warten sollten. Die meisten hielten sich daran. Als er sah, dass kein anderer sich um den Mann zu kümmern gedachte, setzte er sich widerwillig in Bewegung.
    »Ich habe hier ein altes Bett«, sagte der Mann, als er die Scheibe heruntergelassen hatte. Er fuhr einen großen Jeep und hatte das Bett zerhackt, damit es hinten ins Auto passte. Also keine Weiterverwendung möglich.
    »Mit Matratze und allem?«
    »Ja, der ganze Krempel«, sagte der Mann.
    »Geradeaus, die Matratze da rechts, das Holz links, okay?« Der Mann kurbelte die Scheibe wieder hoch. Er sah dem Auto nach und warf dann einen Blick in das Torhäuschen an der Einfahrt. Im Fernsehen begannen die Nachrichten, und er überlegte, ob er sich nicht einen Augenblick drinnen aufwärmen sollte. Von draußen hörte er nicht den Ton, sondern sah nur die Bilder; im Nahen Osten bewarf man sich mit Steinen, der amerikanische Präsident hielt eine Rede, isländische Schafe, ein Messer auf einem Tisch, ein isländischer Minister, der ein Band durchschnitt, der isländische Staatspräsident gab einen Empfang …
    Wieder fuhr ein Auto am Tor vor. Scheibe runter.
    »Ich habe hier einen Kühlschrank«, sagte der Mann.
    »Ist er kaputt?«, fragte er. Kühlschränke kontrollierte er immer, ihm fehlte nämlich ein guter.
    »Total kaputt«, sagte der Mann lächelnd, »leider.«
    Aus den Augenwinkeln sah er, dass das Messer wieder im Bild erschien, und plötzlich kam es ihm irgendwie bekannt vor.
    »Wohin mit dem Kühlschrank?«
    »Da hinten rechts«, sagte er und wies mit dem Finger in die Ecke, wo Küchengeräte in der Kälte hockten wie verwaiste Haustiere.
    Er ging rasch ins Torhäuschen und setzte sich vor den kleinen Fernseher. Der Nachrichtensprecher informierte darüber, dass die Mordwaffe vermutlich so ausgesehen habe, es handle sich um ein Schnitzmesser, und solche Messer würden in allen Schulen des Landes verwendet. Er wusste, um welchen Mord es ging. Der asiatische Junge hinter dem Wohnblock, er hatte die Bilder in den Nachrichten gesehen.
    Er nahm das Messer aus dem Futteral und betrachtete es. Es sah genauso aus wie das im Fernsehen. Er hatte es im Metallcontainer gefunden und eine Hülle dafür gemacht, damit er es an dem Gürtel befestigen konnte, den er ebenfalls aus einem Container gefischt hatte und über seinem Overall trug. Auf diese Weise hatte er ein erstklassiges Werkzeug zur Hand, um Schnüre zu durchschneiden, Tüten mit Dosen zu öffnen oder ganz einfach ein bisschen herumzuschnitzen, wenn nur wenig zu tun war. Er starrte auf das Messer in seiner Hand, und langsam, aber sicher dämmerte es ihm, dass er womöglich die Mordwaffe in der Hand hielt.
    Ein Auto fuhr vor und

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