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Frostnacht

Frostnacht

Titel: Frostnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indridason
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unterhalten«, sagte Erlendur seufzend. »Uns danach erkundigen, was er den Tag über so gemacht hat. Ob er sich den Kindern gegenüber hier im Haus und überhaupt in der Gegend irgendwie komisch verhalten hat. Das Übliche. Kümmerst du dich darum?«
    Elínborg nickte. »Glaubst du, dass Sunee ihren Niran wegen dieses Mannes versteckt hat?«, fragte sie.
    »Ich weiß es nicht«, sagte Erlendur. »Wir tappen noch komplett im Dunkeln.«
    »Warum sagt sie uns nicht einfach, wovor sie sich fürchtet, damit wir ihr helfen können?«
    »Ich weiß es nicht.«
    Erlendur verließ die Wohnung und ging zu Sunee hinüber. Im gleichen Moment kam Guðný die Treppe herauf. Er hatte um ihre Anwesenheit gebeten. Er wusste nicht, wie er die Fragen formulieren sollte, um herauszufinden, was er wissen wollte, ohne Sunee dabei zu verletzen. Er ließ sich mit ihr und Guðný unter dem gelben Drachen nieder und berichtete, unter welchem Verdacht ihr Nachbar stand. Sunee lauschte aufmerksam, stellte Fragen, antwortete prompt. Als sie sich wieder erhoben, war Erlendur zu der Überzeugung gekommen, dass der Mann den beiden Jungen gegenüber nie irgendein unnatürliches Verhalten an den Tag gelegt hatte.
    »Ich wissen«, sagte Sunee entschlossen, »das nie passiert sein.«
    »Er schien Niran und Elías zu kennen.«
    »Sie haben ihn gekannt, weil er hier auf derselben Etage wohnt«, übersetzte Guðný, als Sunee wieder ins Thailändische wechselte. »Sie sind bestimmt nie in seiner Wohnung gewesen. Elías hat ein paarmal für ihn eingekauft.« Die anderen Mieter hatten kaum etwas über den Mann zu berichten, er war gekommen und gegangen, ohne dass jemand ihm besondere Beachtung geschenkt hatte. Nie hatte man aus seiner Wohnung irgendwelche Geräusche gehört. »Bei ihm war immer alles mucksmäuschenstill«, erklärte Fanney.
    Elínborg sah, dass Erlendur ganz in Gedanken versunken war, als er aus Sunees Wohnung kam.
    »Hat Sigurður Óli jemals mit dir über seinen Vater gesprochen?«, fragte er, als sie die Treppe hinuntergingen. »Weißt du etwas über ihn?«
    »Sigurður Óli? Nein, jedenfalls kann ich mich nicht daran erinnern. Er redet ja nie über sich selbst. Weshalb fragst du? Was ist mit seinem Vater?«
    »Nichts. Ich habe mich heute mit Sigurður Óli unterhalten, und mir fiel auf einmal auf, dass ich ihn überhaupt nicht kenne.«
    »Ich kenne niemandem, der das tut«, sagte Elínborg.
    Es sollte ein Scherz sein, aber als sie sah, wie ernst es Erlendur war, bereute sie ihre Worte. Sie hatte Sigurður Óli oft aufgezogen, aber das hatte er mit seinen kategorischen Ansichten auch herausgefordert, so stur und emotionslos, wie er sich oft gab. Gleichgültig, was passierte, er ließ sich bei der Arbeit nie durch irgendetwas aus der Fassung bringen und schien vollkommen immun gegen alles zu sein. Elínborg wusste, dass darin vor allem der Unterschied zwischen Erlendur und Sigurður Óli bestand und dass die Animositäten zwischen ihnen daher rührten.
    »Ach, ich weiß nicht«, sagte Erlendur. »Er ist ja kein schlechter Bulle. Und vielleicht ist er auch nicht so schlimm, wie es einem vorkommt.«
    »Das habe ich auch nie behauptet«, sagte Elínborg. »Man hat bloß keine Lust, zu engen Kontakt mit ihm zu haben.«
    »Als ich heute mit ihm sprach, fand ich es auf einmal so komisch, dass ich ihn eigentlich überhaupt nicht kenne. Ich weiß nichts über ihn. Genauso wenig, wie ich Marian Briem richtig gekannt habe. Du weißt, dass Marian nicht mehr unter uns weilt.«
    Elínborg nickte. Die Nachricht hatte sich im Dezernat herumgesprochen. Die wenigsten erinnerten sich an Marian Briem, nur noch die Dienstältesten. Außer Erlendur hatte niemand den Kontakt aufrechterhalten, und seit Marians Tod hatte er viel darüber nachgedacht, was es mit ihrer Zusammenarbeit und ihrer Freundschaft auf sich gehabt hatte. Das wiederum brachte seine Gedanken zu Elínborg und Sigurður Óli, den beiden Kollegen, die ihm am nächsten standen. Man konnte kaum behaupten, dass er sie kannte, und ihm war klar, dass das in erster Linie an ihm selber lag. Er wusste nur zu gut, wie gleichgültig ihm solche sozialen Kontakte waren.
    »Macht es dir etwas aus?«, fragte Elínborg.
    Sie waren in die Winterkälte hinausgetreten. Erlendur hielt inne und zog den Mantel enger um sich. Er hatte noch keine Zeit gehabt, über diese Frage nachzudenken, mit der er jetzt konfrontiert wurde.
    »Ja, das tut es«, sagte er, »es macht mir etwas aus. Ich werde es vermissen, dass ich

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