Frostnacht
an.
»Ja, gib’s ihm ordentlich«, kreischte Andrés.
»Warte draußen auf mich«, befahl Erlendur.
»Was soll …«, begann Sigurður Óli zu protestieren, verstummte aber gleich wieder. Er starrte erst Erlendur an, dann Andrés, drehte sich um und verließ schweigend die Wohnung. Andrés lachte ihm höhnisch nach. »Ja, mach, dass du rauskommst«, rief er ihm nach.
»Weshalb willst du uns nicht helfen?«, fragte Erlendur, als Sigurður Óli vor der Tür war.
»Es geht euch einen Scheißdreck an, was ich mache«, sagte Andrés und drehte sich wieder zum Fernseher.
»Lügst du uns was vor, Andrés?«
Der flimmernde Fernseher beleuchtete die verdreckte und heruntergekommene Wohnung. Erlendur fühlte sich zutiefst unwohl. Hier gab es nichts als Verwahrlosung und Elend.
»Ich lüge nicht«, sagte Andrés.
»Wer ist dieser Mann, der sich Rögnvaldur nennt?«, fragte Erlendur. »Wer ist das?«
Andrés gab ihm keine Antwort.
»Du hast gesagt, du hättest ihn neulich wieder gesehen. Weißt du, wo er sich aufhält?«
»Keine Ahnung«, sagte Andrés. »Ich hab nicht vor, euch da irgendwie behilflich zu sein, kapiert?«
»Wann hast du ihn hier im Viertel gesehen?«
»Vor einem Jahr oder so.«
»Und seitdem hast du ihn beobachtet?«
»Ich habe nicht vor, euch zu helfen.«
»Weißt du, wo er arbeitet? Weißt du, was er tagsüber macht? Wovon lebt er? Hat er eine Arbeit?«
Andrés antwortete nicht.
Erlendur holte das Foto des Mannes aus der Tasche, der sich Rögnvaldur genannt hatte, als er mit Andrés’ Mutter zusammengelebt hatte. Einen Moment lang betrachtete er noch einmal das Gesicht des Mannes, nach dem er suchte, dann reichte er das Foto über die hohe Rückenlehne zu Andrés hinüber, der es entgegennahm.
»Ist er das?«, fragte Erlendur.
Andrés gab keine Antwort.
»Erkennst du ihn auf dem Bild?«
»Das ist er«, sagte Andrés endlich.
»Hat er so ausgesehen, als du ihn gekannt hast?«
»Ja, das ist er«, wiederholte Andrés.
»Wer ist er?«, fragte Erlendur noch einmal. »Was kannst du mir über ihn sagen?«
Andrés antwortete ihm nicht. Erlendur sah nur seinen Kopf von oben, stellte sich aber vor, dass er das Foto vor sich in der Hand hielt.
»Könnte er ein Kind umbringen?«, fragte Erlendur.
Es verging eine Weile, bevor der Stuhl vom Fernseher weggedreht wurde und Andrés wieder zum Vorschein kam. Das Grinsen war verschwunden. Er starrte Erlendur mit finsterer Miene an. Das Bild hielt er in der Hand und reichte es Erlendur zurück.
»Ich glaube, er würde das fertigbringen«, sagte Andrés. »Und vielleicht hat er das getan. Vor vielen Jahren.«
»Was sagst du? Was hat er vielleicht getan?«
»Raus mit dir. Aus mir bekommst du nichts mehr heraus. Mach, dass du rauskommst. Das ist meine Angelegenheit. Ich krieg das schon hin.«
»Was hat er getan?«
»Lass mich in Ruhe«, erklärte Andrés.
»Willst du damit sagen, dass er ein Mörder ist?«
Andrés drehte sich wieder zum Fernseher, und Erlendurs weitere Versuche, etwas über den Mann, der gegenüber von Sunee wohnte, herauszubekommen, scheiterten.
Dreiundzwanzig
Einer der jüngeren Angestellten im Recycling-Center war durchaus zufrieden mit seinem Tag. Er hatte zwei alte Vinylplatten gefunden, die es sich durchaus lohnte, mitgehen zu lassen. Zwar durfte eigentlich niemand etwas privat an sich nehmen, da verwertbare Sachen noch verkauft werden sollten, aber niemand achtete darauf, was man aus dem Müll herausfischte. Eigentlich konnte sich sogar jeder in der Anlage umtun und alles durchwühlen. Es kam hin und wieder vor, dass irgendwelche Schallplattensammler schon fast in der Müllpresse steckten, so wie Büchersammler und alle möglichen schrägen Typen. Er würde die beiden Platten später zu einem Sammlerladen bringen und dafür gutes Geld bekommen. Er selber hatte kein besonderes Interesse an Platten und Musik, aber nach zweijähriger Tätigkeit bei der Firma wusste er, was etwas wert war. Einmal hatte er beim Container für das Metall ein ganzes Golfset gefunden, das jemand vergessen hatte, wieder in den Kofferraum zu packen, nachdem er die Müllsäcke ausgeladen hatte. Es steckte zwar in einer schäbigen Tasche, war aber ansonsten durchaus vorzeigbar, und er hatte später ordentlich daran verdient, besonders der Driver brachte ihm einiges ein. Zwei Tage nach dem Fund kam der Besitzer des Golfsets und suchte danach. Der blöde Kerl schluckte problemlos die Lüge, das Set sei leider wahrscheinlich beim Schrott
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