Frozen Time (German Edition)
fordert er mich auf und zieht eine kleine Tube aus der Tasche seines blauen Medi-Kittels. Erst jetzt fällt mir auf, dass er immer noch Arbeitskleidung trägt. Gehorsam streife ich die Schuhe von den Füßen und hocke mich mit angezogenen Beinen auf das schmale Bett.
Vorsichtig verteilt Milo eine Creme auf meinem Kopf, unter seiner flüchtigen Berührung wird meine Haut augenblicklich taub. Ein lokales Anästhetikum, vermute ich und wundere mich, dass Milo so etwas in seiner Kitteltasche hat. Andererseits nimmt er ja auch Vitaminpillen aus dem MediCenter mit, vielleicht legt er sich gern einen kleinen Medikamentenvorrat an, nur für den Fall, dass eine entflohene Patientin bei ihm auftaucht und ihn bittet, ihr die Elektroden aus dem Kopf zu entfernen. Ein nervöses Lachen schüttelt mich bei diesem verrückten Gedanken.
»Halt still«, ermahnt Milo mich wie ein professioneller Medi.
Dann spüre ich einen leichten Druck an verschiedenen Stellen meines Kopfes, und schon nach wenigen Augenblicken hält Milo mir seine hohle Hand mit den kleinen Elektroden hin. Ich öffne meine Hand und er lässt die Knöpfe hineinfallen.
»Ganz schön stachelig bist du geworden«, sagt Milo, noch immersteht er hinter mir und ich kann seinen Gesichtsausdruck nicht sehen. Ich spüre eine leichte Bewegung auf meinem Kopf. Hat er mir über meine stoppelig nachgewachsenen Haare gestrichen? Oder habe ich mir das nur eingebildet? Die lokale Betäubung wirkt noch und macht es mir unmöglich, die Frage mit Sicherheit zu beantworten.
Meine unmögliche Frisur wird mir unangenehm bewusst, und ich frage mich, ob sie mich hässlich macht. Bisher habe ich daran keinen Gedanken verschwendet. Bei den wenigen Gelegenheiten, die ich hatte, mich selbst im schwarzen Glas meines Patientenzimmers zu betrachten, habe ich mir immer nur überlegt, wer ich bin, nie, wie ich aussehe. Jetzt ist es mir mit einem Mal wichtig, nicht hässlich zu sein, sondern hübsch.
»Also, schlaf gut«, sagt Milo, noch immer hinter mir.
»Du auch.« Ich stehe auf und gehe hinüber ins Schlafzimmer, ohne mich noch einmal zu ihm umzudrehen.
KAPITEL 10
»Du bist manchmal ganz schön stachelig.« Die Stimme. Hinter mir. Tief und warm. Eine Männerstimme. Ich kenne diese Stimme. Gut. Ich liebe diese Stimme.
Im Spiegel ein Gesicht. Herzförmig, spitzes Kinn, blondes, langes Haar, große, grüne Augen, Fragend. Die vollen Lippen schmollen. Das Gesicht eines Mädchens. Mein Gesicht. Das bin ich, da im Spiegel. Und bin es doch nicht.
Und die Stimme hinter mir ist im Dunkeln verborgen. »Deshalb hab ich etwas für dich«, sagt sie.
Ich strecke meine Hand aus. Spüre etwas Kaltes, Kleines. Stiche in meiner Haut. Ich wende mich ab und laufe los. Weg von der Stimme. Weg von dem Gesicht. Weg von mir.
Vor mir läuft ein Junge. Sein blondes Haar strahlt wie ein Kranz um seinen Kopf. Finn! Warte! Ich komme mit dir! Ich laufe, renne, immer schneller, mein Atem rast, mein Herz pocht im Takt meiner klopfenden Füße. Aber ich kann Finn nicht einholen. Er entfernt sich mit jedem Schritt weiter. Ist bald nur noch ein hell leuchtender Punkt.
Schmetterlinge schwirren über meinem Kopf. Sie werden immer mehr, immer größer. Stoßen herab, stechen in die dünne Haut meines Kopfes. Bohren sich in meinen Schädel. Tauchen in das Labyrinth meiner Erinnerungen.
Ich falle. Nein, ich springe. Wasser umfängt mich. Rauscht. Fließt davon. Zieht mich mit sich. Zieht mich nach unten. Immer tiefer. Dringt in meine Ohren, meinen Mund, meine Nase. Füllt mich aus. Bis da nichts mehr ist als rauschendes Wasser.
Ich erwache mit einem Ruck. Mein Körper ist von einem dünnen Schweißfilm bedeckt, mein Atem geht stoßweise. Noch immer höre ich das Rauschen. Es dauert einen Augenblick, bis mir klar wird, dass es aus dem Badezimmer kommt. Dann bricht das Geräusch des Wassers abrupt ab, und die gleiche Frauenstimme, die uns gestern Abend ins Bett geschickt hat, erklärt freundlich, aber bestimmt: »Du hast das dermatologisch empfohlene Waschmaximum erreicht.«
Ich höre ein unterdrücktes Fluchen aus dem Bad, kurz darauf taucht Milo nur mit einem Handtuch um die Hüften und feuchten Haaren im Schlafzimmer auf.
»Oh, du bist schon wach«, stellt er fest, als er mich aufrecht auf dem Bett sitzen sieht. Ich nicke, bemüht, seinen tatsächlich sehr muskulösen Oberkörper nicht zu aufdringlich zu begutachten.
Milo scheint meinen Blick nicht zu bemerken, er geht zum NanoConverter im Nebenraum und hält sein
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