Frozen Time (German Edition)
mal eben ins Bad«, erwidere ich ausweichend. Wie soll ich Milo erklären, dass mein bevorzugter Duft nach Vanillepudding riecht, wenn ich nicht einmal genau weiß, was das ist. Und dass ich rein gar nichts gerochen habe, dieses Mal. Ob es daran lag, dass ich mein Insignal nicht mehr trage? Ist unser Lieblingsduft damit gekoppelt?
Ich sitze noch auf der Toilette und starre in die Duschkabine, in der heute kein Wasser mehr fließen wird, als ich Milo rufen höre: »Tessa, ich muss gleich los.«
Schnell erhebe ich mich. Er möchte sicher auch noch ins Bad,bevor er zur Arbeit geht. Ich betätige den Entsorgungssauger der Toilette, als ich auf dem Display ein rotes, blinkendes Lämpchen bemerke. Oh nein, wie dumm von mir! Ich hätte daran denken müssen, dass die Toiletten unseren Urin automatisch auf Glukosewerte, Temperatur und andere Parameter testen, die Aufschluss über unsere Gesundheit geben. Und meine Werte entsprechen unter Garantie nicht denen, die für Milo abgespeichert sind.
»Bitte halte dich für eine Überprüfung bereit«, ertönt eine laute Stimme in allen Räumen des Appartements, noch während ich wie gebannt auf das rot blinkende Licht starre. »Bitte bewahre Ruhe und bleibe dort, wo du dich gerade befindest. Es handelt sich um eine reine Routineüberprüfung.«
Milo erscheint in der Tür des Badezimmers. »Was ist denn los?« Dann registriert er das Alarmlämpchen ebenfalls und haut sich mit der flachen Hand vor die Stirn. »Wie dumm von uns!«, spricht er meine Gedanken aus, und ich bin dankbar, dass er
uns
sagt und mich nicht allein für die Misere verantwortlich macht.
Im selben Moment hören wir vor der Tür des Appartements schwere Schritte, gefolgt von einem kräftigen Klopfen. Ich sehe, wie es in Milos Gesicht arbeitet, sicher fragt er sich, warum sofort die Officer hier auftauchen, nur weil die Urinwerte abweichen. Normal wäre es in einem solchen Fall nämlich, dass Milo im MediCenter zu einer Gesundheitsüberprüfung erscheint. Aber uns wird beiden schnell klar, dass seit gestern für uns nicht mehr die normalen Abläufe gelten. Sicher haben die Officer seit meiner Flucht alle verdächtigen Veränderungen in Milos Appartement genau überwacht, auch wenn er geglaubt hat, er hätte sie täuschen können.
»Bitte öffne jetzt die Tür«, dringt eine fordernde Männerstimmegedämpft zu uns. »Es handelt sich um eine Routineüberprüfung.«
»Wir müssen verschwinden«, stoße ich hervor, drehe mich um und eile zurück ins Schlafzimmer, Milo folgt mir zögernd.
»Wo willst du denn hin?«
»Keine Ahnung«, gebe ich zu. »Weg. Wenn sie mich hier finden, sind wir beide dran.« Mein Blick flattert ziellos durch das Zimmer, bleibt an dem Fenster mit Sicht auf das gegenüberliegende Wohngebäude haften.
»Zu hoch«, sagt Milo, der meinen Augen gefolgt zu sein scheint. »Außerdem lassen sich die Fenster nicht öffnen.«
Mein Blick irrt weiter, streift einen Haufen Wäsche, Milos getragene Anziehsachen, die er achtlos auf den Boden hat fallen lassen. Erneutes Klopfen dringt durch die angespannte Stille.
»Öffne die Tür für eine Routineüberprüfung«, ertönt die Stimme, lauter und ungeduldig. Da kommt mir eine Idee.
»Wir müssen durch den Entsorgungsschacht«, erkläre ich Milo atemlos.
»Wie bitte?«, fragt er irritiert.
»Durch den Schacht!« Ich zeige mit meiner freien Hand auf die Klappe in der Wand, durch die Milo jeden Tag seine benutzte Kleidung entsorgt. »Da runter.«
Ich öffne die Klappe und riskiere einen kurzen Blick in die schwarze Tiefe. Der Schacht fällt senkrecht nach unten und ist sehr schmal, aber auch Milo müsste hindurchpassen, wenn er die Arme an den Körper presst.
»Los, du musst mitkommen«, dränge ich, aber Milo zögert. »Milo, sie haben meine Werte. Sie werden wissen, dass ich hier war. Damit kommst du nicht durch!«
Das Hämmern an der Tür verstärkt sich noch einmal, dann bricht es ab.
»Achtung, Bewohner, wir betreten jetzt dieses Appartement«, dröhnt die laute Stimme, dann ist es ruhig, und in der Stille vernehmen wir ein scharfes Klicken, als die Officer das Türschloss von außen entriegeln.
»Da rein!« Ich lege all meine Überzeugungskraft in meine Worte, und weil Milo sich noch immer nicht bewegt, klettere ich selbst durch die Klappe, verlagere mein Gewicht, halte die Luft an und … falle. Rasend schnell geht es im Dunkeln abwärts, nur wenige Sekunden lang, die mir vorkommen wie mein ganzes Leben, dann lande ich weich in einem
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