Frozen Time (German Edition)
Handgelenk mit dem Insignal vor das ScanPad. Ein blauer Medikittel mit passender Hose fällt aus dem Ausgabeschacht.
»Ich zieh mir schnell was über, dann druck ich uns Frühstück aus.« Er verschwindet wieder im Bad, von wo ich erneut seineleicht zerknirschte Stimme vernehme: »Ich fürchte, aufs Duschen musst du heute verzichten, ich habe dir kein Wasser übrig gelassen.«
»Macht nichts«, rufe ich zurück und bemühe mich, mein Shirt glatt zu streichen, das vom Schlafen ziemlich zerknittert ist. Schnell ziehe ich die Kapuzenjacke darüber.
Wenig später sitzen wir uns auf hohen Hockern an der Theke gegenüber, die die Küchenzeile vom Wohnbereich trennt. Milo hat eine Schale Joghurt mit frischen Früchten aus dem FoodPrinter gezogen und mir die Mahlzeit komplett überlassen. Ich vermute, dass seine Großzügigkeit vor allem seiner Abneigung gegen Obst zu verdanken ist, freue mich aber trotzdem über die Mahlzeit.
»Und was willst du jetzt tun?«, fragt Milo, er dreht sein Wasserglas zwischen den Händen. Bisher hat er noch keinen Schluck getrunken.
»Ich weiß es nicht«, gebe ich zwischen zwei Löffeln zu. »Ich habe überlegt, noch mal zu Block B-VI-7 zu gehen. Vielleicht stoße ich ja doch noch auf etwas oder auf jemanden, den ich wiedererkenne.« Mir ist klar, dass der Plan sehr vage klingt, und so bin ich nicht erstaunt, als Milo skeptisch die Stirn runzelt.
»Hältst du das für eine gute Idee? Ich fürchte, du würdest auffallen«, gibt er zu bedenken und tippt sich mit dem Zeigefinger gegen den Kopf.
Es dauert einen Moment, bis ich begreife, denn ich hatte noch das Mädchen aus meinem Traum vor Augen. Das Mädchen mit den langen, blonden Haaren. Doch mein eigener Kopf ist kahl, stachelig, um genau zu sein. Und kein Mädchen in den VEN würde sich die Haare freiwillig abscheren. Ich grübele noch darübernach, was ich stattdessen tun könnte, während Milo im MediLernCenter ist, als im Nebenraum das Gemeinschaftslied erklingt und sich auf der Wohnzimmerwand das Staatensymbol zu drehen beginnt.
7.30 Uhr. Zeit für die Morgennachrichten.
»Bürger der Vereinigten Europäischen Nationen, wie geht es euch?«, begrüßt uns die fröhliche Sprecherin mit weiß glänzendem Lächeln. »Heute haben wir eine besondere Neuigkeit vor allem für die Bürger der Ersten Metropole. Aber hört selbst, was uns die verehrte Präsidentin zu sagen hat.«
Das Holo der Sprecherin verschwindet, und an ihrer Stelle taucht Samantha Figger mitten in Milos Wohnbereich auf, so plastisch, dass sie beinahe greifbar erscheint. Ich warte auf den Vanilleduft, den ich immer wahrnehme, wenn ich eine Aufnahme der Präsidentin sehe, aber er bleibt aus. Während der Duft für mich bisher nur eine Nebensächlichkeit war, ist mir sein Fehlen in diesem Moment überdeutlich bewusst. Vanillepudding, denke ich, irritiert über das Wort, dem ich spontan kein Bild zuordnen kann, und plötzlich kommt mir mein Joghurt fad vor.
»Bürger der VEN, Bewohner der Ersten Metropole«, beginnt die verehrte Präsidentin. »Mit Freude kann ich euch heute verkünden, dass wir beschlossen haben, den alljährlichen großen Fachkongress der angesehensten Medis unserer Gesellschaft, der in drei Tagen beginnen wird, in diesem Jahr in der Ersten Metropole stattfinden zu lassen. Einer der Gründe für diese Ehre ist, dass die medizinische Elite unserer Nationen dabei die Möglichkeit haben wird, sich selbst einen Eindruck von der Arbeit in unserem ForschungsCenter zu machen und sich über die Fortschritte von
Projekt Frozen Time
zu informieren.«
Sie legt eine rhetorische Pause ein, damit ihre letzte Ankündigung die ganze Aufmerksamkeit erhält, die sie verdient: »Um die Bedeutung des Projekts für unsere Gesellschaft noch einmal zu unterstreichen, werde ich persönlich an dem Kongress teilnehmen. Bürger der VEN, ich wünsche euch Gesundheit, Glück und ein langes Leben!«
»Nicht schlecht«, entfährt es Milo. Ob er hofft, als Eliteschüler eine Eintrittsgenehmigung zu erhalten und Samantha Figger einmal in der Realität sehen zu können? Aber ich grübele noch über eine andere Frage nach.
»Hast du etwas gerochen?«, frage ich Milo noch immer irritiert. »Deinen Lieblingsduft, meine ich, als die verehrte Präsidentin ins Bild kam?«
»Natürlich«, antwortet er verwundert.
»Und welcher Geruch war das?«
»Salzwasser. Wie das Meer. Warum?«
»Nur so.«
Milo nimmt sein Glas und leert es mit mehreren Schlucken.
»Und deiner?«
Ȁh, ich muss
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