Frozen Time (German Edition)
Haare gerauft, während sie auf uns gewartet hat.
»Ich kann dir alles erklären, Doreen«, sage ich eilig und gehe einen Schritt auf sie zu. Erschrocken weicht sie zurück, sie sieht aus, als stünde sie einem Geist gegenüber. Ich sehe, wie es in ihrem Gesicht arbeitet. Sie kneift die Augen zusammen, sodass sich ein Kranz von Fältchen um die Augenwinkel legt.
»Wer bist du?«, wiederholt sie. »Und warum behauptest du, du wärest Tessa Morten?«
»Ich bin Tessa.« Ich betone jedes Wort. Doreen mustert mich noch eindringlicher. Ich weiß, dass sie mein Gesicht wiedererkennt, aber sie kann nicht glauben, was sie sieht.
»Unsinn.« Unwillig schüttelt Doreen den Kopf, sodass die Haare fliegen. »Tessa arbeitet nicht mehr hier. Sie wurde in ein anderes Projekt in einer anderen Metropole versetzt.« Das habensie ihr also erzählt. »Und außerdem ist Tessa Morten eine Senior und nicht so ein junges Ding wie du.«
»Nein«, sage ich bestimmt und gehe noch einen Schritt auf sie zu. »Ich bin es.« Wieder weicht Doreen zurück. Wird sie mich anhören? Oder wird sie den Sicherheitsdienst rufen?
»Glaubst du wirklich, dass ich bloß versetzt wurde und mich danach nie mehr bei dir gemeldet habe? Dass ich unsere Treffen im FreizeitCenter absichtlich versäumt habe?«, versuche ich Doreen zu überzeugen. »Du wartest noch immer darauf, dass ich komme. Ich war da. Ich habe dich gesehen.«
Aber Doreen schüttelt nur wieder den Kopf, wenn auch nicht mehr ganz so entschieden. Ich muss etwas finden, dass sie überzeugen wird, etwas, das nur ich weiß! Ich krame in unserer gemeinsamen Vergangenheit, erinnere mich, wie ich sie im Auffanglager zum ersten Mal getroffen habe. Ich sehe das kleine Mädchen mit den wirren, damals noch kastanienbraunen Haaren vor mir, keine zehn Jahre alt und so verloren wie ich, nachdem Finn weg war. Ich habe sie getröstet und sie war mein Trost, meine kleine Schwester.
»Erinnere dich … «, versuche ich es erneut und dann fällt es mir ein. »Erinnere dich an Vanillepudding«, sage ich. Vanillepudding – der Geschmack unserer Kindheit. Im Auffanglager gab es ihn manchmal, der süße Nachtisch war unser beider Seelentröster. Aber natürlich gehörte er nicht auf die Liste empfohlener Speisen, die die Regierung später erlassen hat. Deshalb habe ich über die Jahre mein eigenes Rezept entwickelt und
unser
Gericht manchmal heimlich auf einer Heizplatte im Labor zubereitet.
Über Doreens Gesicht huscht ein Lächeln bei dem Gedankendaran, ich sehe es genau, auch wenn es sofort wieder von Skepsis abgelöst wird. Sie geht einen Schritt auf mich zu und mustert mich. Ich bemühe mich um Gelassenheit, während ihre Augen jeden Millimeter meines Gesichts zu scannen scheinen. Ihre hellgrauen Augen vertiefen sich in meine leuchtend grünen. Ich sehe Erkennen darin und atme auf.
»Tessa?«, fragt Doreen vorsichtig und noch immer ungläubig. »Bist du das wirklich? Was ist mit dir passiert?«
»Können wir vielleicht im Labor reden?«, frage ich schnell, denn so langsam befürchte ich, dass einer der anderen Kollegen um die Ecke biegen und sich wundern könnte.
»Ja, sicher.« Doreen schüttelt den Kopf, wie um ihre Gedanken zu klären. Doch bevor sie sich in Richtung der Laborräume wendet, wirft sie noch einen irritierten Blick zu Milo. »Wer ist das?«
»Das ist Milo, ein Freund«, erkläre ich. »Es ist in Ordnung, wenn er mitkommt, er will mir helfen.« Ich drehe mich zu Milo um, der die ganze Zeit schweigend hinter mir gestanden hat. Was er wohl denkt? Auf seinem Gesicht kann ich keine Gefühlsregung entdecken. Er betrachtet Doreen mit dunklem Blick. Ob er sich fragt, ob wir ihr vertrauen können? Oder vergleicht er sie mit mir? Sie, die Senior. Und mich …
»Komm«, sage ich.
Das Labor, das ich mir mit Doreen geteilt habe, ist klein, mein Arbeitstisch ist leer und unbenutzt, ihrer voller Proben. Hinter einer großen Fensterfront erstrecken sich die Dächer der umliegenden Gebäude, dahinter sieht man die strahlende Fassade des Power Towers mit seinen Sonnenkollektoren. Ich habe das unangenehme Gefühl, dass die Mitarbeiter der Regierung, die indiesem Turm arbeiten, direkt in dieses kleine Labor hineinsehen können und uns dabei beobachten, was wir hier tun.
»Erklär mir, was passiert ist«, fordert Doreen, nachdem sie sich auf den einzigen Stuhl hat fallen lassen. Milo lehnt sich gegen die Kante des Arbeitstisches und verschränkt die Arme vor der Brust. Es ist an mir, Doreen die
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