Frozen Time (German Edition)
zusammengesetzt worden.
»Finn Schwarzer«, sagt Doreen und Finns Patientendaten öffnen sich auf dem Screen. Milo hat sich vom Tisch abgestoßenund ist neben mich getreten, auch Doreen hat sich in ihrem Stuhl vorgelehnt. Gemeinsam überfliegen wir die Angaben zu Finns Person, die mir alle vertraut sind. Über die Jahre hat sich eine ganze Reihe von Laborberichten angesammelt, anscheinend haben die Medis Finns gekühlten Körper mehrfach untersucht. Bevor ich sie darum bitten kann, hat Doreen den jüngsten Eintrag, der noch kein Jahr alt ist, bereits aufgerufen. Ich überfliege die Laborergebnisse nur, doch plötzlich bleibt mein Blick an einem Eintrag hängen: VariolaIgG Positiv, Titer > 1:1024, Immunität vorhanden.
»Das … «, sagt Doreen.
» … kann doch … «, ergänzt Milo.
» … nicht wahr sein«, falle ich ihm ins Wort.
Mit Daumen und Zeigefinger zoomt Doreen die Daten heran, in riesigen Buchstaben steht es nun vor unseren Augen: Immunität vorhanden!
»Hattest du nicht gesagt, dass er in das Projekt aufgenommen wurde, damit seine Pockenerkrankung geheilt werden könne, wenn die Medizin dazu in der Lage wäre?«, fragt Doreen verwundert.
Ich kann nur nicken, bekomme kein Wort mehr heraus.
»Aber«, führt Milo den Gedanken weiter. »Hier steht doch ganz klar, dass sein Körper Immunität gegen die Krankheit aufweist.«
Ich nicke wieder, begreife noch nicht, was ich da lese. Die Werte sind falsch. Müssen falsch sein. Denn Finn hat sich mit den Pocken infiziert. Zumindest ist es das, was sie uns damals gesagt haben, nachdem sie ihm bei einer der Routineuntersuchungen im Auffanglager Blut abgenommen hatten. Was hat daszu bedeuten?, frage ich mich. Dabei sind die aktuellen Laborergebnisse vor mir auf dem Screen eindeutig. Die Antwort ist erschütternd, aber einfach: Sie haben uns belogen.
»Sie haben uns belogen«, stoße ich hervor. Ich beginne zu wanken, meine Knie fühlen sich plötzlich zu weich an, Schwindel breitet sich in meinem Kopf aus. Schnell fasst Milo nach meinem Arm und schiebt mich hinüber zum Stuhl. Doreen steht eilig auf und ich sinke schwer in das weiche Sitzpolster.
»Belogen«, wiederhole ich. »Aber warum?«
»Tja.« Doreen kneift die Augen zusammen, als müsse sie angestrengt über diese Frage nachdenken. »Weißt du noch, wie es damals war?«, fragt sie mich, scheint aber keine Antwort zu erwarten. »Ich erinnere mich noch, wie verwirrend alles war. Wie traurig. Wir hatten alle riesige Angst vor dieser Krankheit, davor, dass die Pocken erneut ausbrechen und uns doch noch töten würden. Und dann kam Samantha Figger und versprach, alles zu tun, damit die Bürger nie wieder so krank werden würden. Sie hat die ersten medizinischen Forschungsprojekte gestartet, noch bevor ein einziges neues Gebäude in einer der Metropolen errichtet worden war.«
Ja, ich erinnere mich, denke ich. Und ich begreife. Finns Körper war für die Mediziner der damaligen Zeit ein Juwel. Immun gegen die Pocken! Vermutlich wollten sie unbedingt herausfinden, wie es dazu kommen konnte, wollten seine Gene zerlegen, um dem Wunder auf die Spur zu kommen, wollten ihn konservieren, um ihn sich für die Forschung der Zukunft zu sichern. Aber da hätte er natürlich nicht mitgemacht. Deshalb die Lüge.
In meinem Kopf dreht sich alles, ich fühle mich wie betäubt. Langsam sickert die Erkenntnis in mein Hirn durch: Finn wargar nicht krank. Im Gegenteil, es war sogar unmöglich, dass er sich mit den Pocken infizierte. Das bedeutet, dass er niemals bei
Projekt Frozen Time
hätte mitmachen müssen. Sein Körper hätte nicht eingefroren werden müssen, er hätte ein ganz normales Leben leben können, ein Leben mit mir zusammen.
»Nein!«, brülle ich und schlage mir die Hände vors Gesicht. »Nein, nein, nein!« Ich werde wütend, unfassbar wütend, als mir alles klar wird. Warum haben sie Finn das angetan? Warum haben sie mir das angetan? Ich schlucke gegen die Tränen an, die es mir in die Augen treibt. Tränen der Wut und Tränen der Trauer um all die vergeudete Zeit.
Es war gar nicht meine Schuld, denke ich. Nicht meine, nicht Finns, es war die Schuld skrupelloser Medis, die Finn für ihre Forschungszwecke missbraucht haben. Jetzt laufen die Tränen, ich kann sie nicht stoppen, das Gefühl der immensen Wut und der tiefen Trauer zugleich ist zu überwältigend. Betreten stehen Doreen und Milo neben mir.
»Achtung, ich bitte um Aufmerksamkeit für eine wichtige Durchsage!«, durchbricht eine
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