Frozen Time (German Edition)
lassen. Denn wenn wir die üblen Machenschaften bei
Projekt Frozen Time
auffliegen lassen, dann wird das Programm vermutlich gestoppt werden. Und dann wird Finn niemals erweckt werden.
»Es tut mir so leid«, sage ich leise zu dem starren Gesicht hinter der Scheibe. Eine Träne zerplatzt auf dem Glas der Kryobox, rinnt an der Seite herab und fällt zu Boden.
Ich bringe kein Wort mehr heraus. Dabei würde ich Finn gern erklären, warum ausgerechnet ich dafür sorgen muss, dass er keine zweite Chance bekommen wird. Und dass es für uns keine zweite Chance geben kann, selbst wenn eines Tages eine Möglichkeit gefunden werden sollte, die
Frozen
wieder zu neuem Leben zu erwecken. Weil ich ab jetzt wieder jeden Tag ein bisschen älter werde, während er so jung bleiben wird, wie er es seit über sechzig Jahren ist. Ich würde ihm gern so viel erklären. Ich glaube, er würde es verstehen.
Irgendwann wirst du dich entscheiden müssen zwischen ihm und mir
, habe ich Milos ernste Worte noch im Ohr. Und ich weiß, dass dieser Zeitpunkt jetzt gekommen ist.
Meine Hand streicht über das kalte Glas, rutscht seitlich daran herunter, meine Finger verfangen sich in einer schmalen Öffnung unterhalb der gläsernen Kuppel. Verwundert tasten sie sich vor und stoßen auf einen kleinen Kasten, der sich herausziehen lässt. Es ist ein Holzkästchen, das in der hochtechnisierten Sterilität des Kryoraums seltsam deplatziert wirkt.
Persönliche Besitztümer
steht auf dem Deckel. Ich lasse den Kasten aufschnappen und weiß bereits, bevor ich es sehe, was ich darin finden werde.
Auch nach all den Jahren schimmert die goldene Oberflächedes Medaillons ungebrochen im hellen Licht der Deckenlampen. Mit spitzen Fingern greife ich nach der Kette und hole den Anhänger heraus. Er pendelt vor meinem Gesicht in der Luft, dreht sich dabei um die eigene Achse, das Licht reflektiert sich in den spitzen Stacheln des kleinen Igels.
Mit einer schnellen Bewegung schließt meine freie Hand sich um das drehende Medaillon. Das Bedürfnis, es zu öffnen, ist beinah übermächtig. Ob sich das Foto meiner Eltern noch darin befindet? Die spitzen Stacheln bohren sich wie winzige Stiche in meine Handfläche. Der leichte Schmerz bringt mich zurück in die Realität.
Was gewesen ist, ist vorbei, denke ich. Ich hebe meine Hand an die Lippen und drücke meinen Mund vorsichtig auf das kalte Metall. Dann lege ich den Anhänger zurück in das kleine Kästchen, schließe es und schiebe es zurück in die Öffnung der Kryobox.
»Ich werde dich vermissen«, flüstere ich Finn zu. »Und ich werde immer irgendwie bei dir sein.«
In diesem Moment nehme ich das Piepen wahr. Ein hoher Ton, den das Insignal des bewusstlosen Medi aussendet. Das Insignal hat den Alarm im Notfallcenter ausgelöst. Aber wann? Gerade eben erst? Oder habe ich das durchdringende Geräusch überhört, weil ich zu sehr von der Vergangenheit gefangen war?
Ich muss hier raus!
Ich höre schnelle Schritte in der Schleuse. Höre Stimmen.
Zu spät!
Sie werden mich finden.
Und die Officer rufen.
Es ist vorbei!
Denken, Tessa, denken!
Und plötzlich ist da wieder meine innere Stimme, die mir schon so oft in brenzligen Situationen geholfen hat.
Sei, was du bist!
Ich verstehe sofort, was sie mir sagen will – und endlich begreife ich, dass es sich bei dieser Stimme um mein eigenes, älteres Ich handeln muss. Um achtzig Jahre Lebenserfahrung und um achtzig Jahre Menschenkenntnis. Für einen winzigen Moment spüre ich Dankbarkeit aufwallen dafür, dass es diese Stimme in mir gibt, und heiße sie willkommen.
Dann haste ich zurück zu dem Senior-Medi am Boden. Im Laufen zerre ich den gefalteten hellblauen Kittel unter dem weißen hervor und streife ihn über. Ich stolpere und falle beinah, als ich in die blauen Hosenbeine schlüpfen will. Direkt neben dem Bewusstlosen gehe ich selbst unsanft zu Boden.
Die Schleusentür öffnet sich. Zwei Medis, ein Mann und eine Frau in hellgrünen Kitteln, stürmen in den Kryoraum, entdecken den Bewusstlosen, dessen Insignal in unverminderter Lautstärke einen Alarmton ausstößt, eilen auf uns zu.
»Hilfe«, rufe ich ihnen entgegen. »Helft ihm. Er ist mein Mentor. Er ist plötzlich zusammengebrochen. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Bitte, helft ihm.«
Ich habe keine Ahnung, ob sie meinen gestammelten Lügen glauben werden. Aber die Panik in meiner Stimme ist auf jeden Fall echt.
KAPITEL 21
»Mach Platz, wir müssen hier arbeiten«, herrscht mich der Mann im
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