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Frucht der Sünde

Frucht der Sünde

Titel: Frucht der Sünde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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Prosser vom Sparladen hatte sich zu Merrily gestellt. «Jetzt sehen Sie sich die mal an. Als wären sie alle Komparsen bei
Stolz und Vorurteil
. Ist zwar ein Jahrhundert später, aber was soll’s?»
    «Ja.» In der Tat waren eine Menge auffallend prächtiger Gewänder zu sehen. Jim selbst lag mit seiner gestreiften Weste über einem kragenlosen Hemd um weit mehr als ein Jahrhundert daneben, aber das schien ihn ebenfalls nicht zu kümmern.
    «Was reden denn die Leute im Dorf so über die Sache, Jim?»
    «Hat einen ziemlichen Wirbel gegeben, Frau Pfarrer. War heute Nachmittag das einzige Gesprächsthema im Laden, das kann ich Ihnen versichern.»
    «Sie wissen doch, was ich meine.»
    «Ja, kann sein.»
    Ted Clowes kam allein. Er trug einen dunklen Anzug und wich Merrilys Blick aus.
    «Und?»
    Jim grinste. «Sie wissen doch genauso gut wie ich, dass die meisten Leute hier sich keinen Deut um Wil Williams scheren. Haben vor dem ganzen Trara nicht mal gewusst, dass er überhaupt gelebt hat. Aber die Oldtimer und die Damen vom Hausfrauenverein und noch ein paar andere flattern wie die Hühner im Käfig rum, weil sie bemerkt haben, wie sich gewisse Leute über die Sache aufregen. Wollen eben sagen können: Ich war dabei, beim großen Feuerwerk.»
    «Feuerwerk», sagte Merrily.
    «Ein paar werden richtig enttäuscht sein, falls es keins gibt, Frau Pfarrer, wenn ich es mal so sagen darf.»
    «Sie haben nicht zufällig James Bull-Davies irgendwo gesehen?»
    «Noch nicht», sagte Jim voll gespannter Erwartung.
    «Guten Abend, Mrs.   Watkins.»
    Merrily wandte sich um und hatte Detective Annie Howe vor sich.
    «Hallo», sagte Merrily, «Annie.»
    Howe blieb schweigend neben ihr stehen und schaute zu, wie die Leute aus dem Dorf miteinander schwatzten. Sie trug Jeans und hatte sich ihren weißen Regenmantel über den Arm gehängt.
    «Haben Sie für heute Feierabend?», fragte Merrily.
    «Was glauben Sie denn?»
    «Es hängt vermutlich davon ab, wie nahe Sie dran sind, Colette Cassidy zu finden, schätze ich.»
    «Glauben Sie denn, wir sind nahe dran?»
    Erzähl ihr von Dermot. Erzähl ihr von der Entweihung des Grabmals.
    «Ich bete darum», sagte sie.
    Genau das hätte vermutlich auch Alf Hayden von sich gegeben. Eine Plattitüde.
     
    Also. Denk über konkrete Dinge nach, ermahnte sich Lol. Sei einmal im Leben objektiv. Sie ist dort in der Kirche. Sie ist für eine Sache verantwortlich, die sie selbst nicht versteht. Es gibt Leute, die sie daran hindern wollen. Es gibt Leute, die ihr schaden wollen. Und Leute, die nur zum Gaffen kommen.
    Und im Zentrum steht das Geheimnis um den Tod eines Mannes vor mehr als dreihundert Jahren.
    Merrily kennt das Geheimnis nicht. Unwissenheit ist gefährlich. Wenn du ihr helfen willst, dann musst du das Rätsel selbst lösen. Und du hast nicht viel Zeit.
    «Hilf mir, Lucy», sagte er.
    Er wusste nicht, wo er anfangen sollte. Er knipste das Licht aus und zog die Vorhänge auf. Die Church Street lag verlassen vor ihm. Der Mond ging auf. Es war fast Vollmond.
    Und der Mond war rosa.
    Das letzte Album, das Nick Drake aufgenommen hatte, hieß
Pink Moon
.
    Der Titelsong bestand aus wenigen Textzeilen, die mehrfach wiederholt wurden. Nick musste nicht von den ganzen Legenden singen, jeder kannte den rosa Mond. Jeder wusste, dass ein rosa Mond Tod und Gewalt bedeutete, dass er mit Blut gefärbt war.
    In dem Song sagte Nick mit seiner ausdruckslosesten, kühlsten und kultiviertesten Upper-Class-Stimme, dass der rosa Mond kommen würde, um
uns alle zu holen
.
    «Das habe ich hinter mir», schrie Lol auf, seine Hände krampften sich in die Vorhänge, seine Beine fühlten sich schwer an, die Arme taub, sein Herz schlug wie das bleierne Pendel einer alten Standuhr. «Das habe ich hinter mir   …»

45   Der ewige Bull
    «Und nun lasset uns beten», sagte Stefan, «für Thomas Bull.»
    Die Kirche fing die letzten Strahlen der Abendsonne ein, und die Sandsteinmauern leuchteten ebenso rötlich wie bei Merrilys Nicht-Amtseinführung. Durch das runde Fenster über der Kanzel, in der Stefan stand, fiel das Licht auf sein Haar.
    Dann stieg er die Kanzeltreppe hinunter. Die Stufen knarrten «Für die Bulls jeden Alters», rief er, als er unten angekommen war. Dann blieb er vor der Orgel stehen, halb der Kapelle zugewandt.
    «Den ewigen Bull.» Aus seiner Stimme klang leichte Verzweiflung. «Wirst du mit uns beten, bevor du mich verhaftest? Ich bin dein Priester, Thomas. Immer noch dein Priester. Wirst du kommen

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