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Frucht der Sünde

Frucht der Sünde

Titel: Frucht der Sünde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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du klar, Lol?»
    Jane schien es ziemlich eilig zu haben.
    «Logisch.»
    «Sie ist nicht hier, weißt du? Falls du dir darüber Sorgen gemacht hast.»
    «Hab ich nicht.»
    Er saß an Lucys Schreibtisch. Die beiden Lampen brannten, und die Samtvorhänge waren zugezogen. Die Fenster gingen auf die Straße, doch Jane hatte von außen überprüft, dass auch nicht der kleinste Lichtschimmer nach draußen fiel. Nichts deutete darauf hin, dass jemand im Haus war.
    «Ich dachte, sie wäre hier», sagte Jane niedergeschlagen. «Ich habe nicht geglaubt, dass sie wirklich für immer weg ist.»
    «Na ja, vielleicht hat sie es ja besser dort, wo sie jetzt ist. Das sagen doch die Leute.»
    «Aber sie hatte hier noch so viel vor.»
    «Ja», sagte er. «Was machst du jetzt?»
    «Ich mache einfach irgendwie weiter, schätze ich.»
    «Nein, ich meinte, was machst du jetzt gleich?»
    «Oh. Ich gehe in die Kirche. Ich soll mich um die Beleuchtung kümmern. Wahnsinn. Da muss ich genau einen Scheinwerfer anschalten, kurz bevor es dunkel wird.»
    «Das ist alles?»
    «Sie will mich dort haben, damit sie mich im Auge behalten kann.»
    «Mütter sind eben misstrauisch.»
    Jane ging zur Tür. «Sie mag dich. Das weiß ich genau. Wenn ich’s mir recht überlege, war es vermutlich sogar besser, dass du nicht mit ihr geschlafen hast.»
    «Das meinst du also.»
    «Das wird dir noch zugutekommen», erklärte sie feierlich.
    Als sie gegangen war, dachte er über Lucy nach. Er sah sich in dem säuberlich aufgeräumten Zimmer um. Jane hatte recht, Lucys Geist war nicht hier. Vielleicht war er nie hier gewesen. Wenn man diesen Raum betrachtete, ahnte man nichts vom Wesen seiner Bewohnerin. Man konnte die Fotos ansehen und würde wissen, wie sie ausgesehen hatte, in der Küche konnte man feststellen, was sie gegessen hatte, wenn man sich vor den Kleiderschrank stellte, erfuhr man, wie sie sich gekleidet hatte – und doch hätte man nichts von Lucys Wesen erfasst. Wenn es überhaupt einen Ort gab, an dem das möglich war, dann war es der Laden mit all seinen Äpfeln und Elfen.
    Doch es schien Lol, als wäre ein einzelner Raum ohnehin zu klein, um Lucys Geist aufzunehmen. Er müsste über dem ganzen Dorf liegen, über den benachbarten Hügeln und den Apfelbäumen. Er sollte die ganze Atmosphäre erleuchten.
    Es war zu spät, um Lucy auf irgendeine konkrete Art zu unterstützen. Seufzend schlug Lol Ella Leathers
Volkstümliche Überlieferungen
auf.
     
    «Lassen Sie mich Ihnen helfen. Bitte.» Vor der Kirchentür beugte sich Stefan über Mrs.   Goddard in ihrem Rollstuhl. Jede Anspannung schien von ihm abgefallen.
    Stefan schauspielerte. Oder so.
    «Danke», sagte Mrs.   Goddard. «Mr.   …?»
    «Williams», sagte er schlicht.
    Mrs.   Goddards Tochter, die den Rollstuhl geschoben hatte, runzelte die Stirn, doch Mrs.   Goddard selber lächelte. «Sie wollte nicht, dass ich komme, aber ich habe darauf bestanden.» Sie tätschelte seine Hand, die auf der Seitenlehne ihres Rollstuhls lag. «Ich glaube an Sie.»
    «Das ehrt mich», sagte Stefan.
    «Und, wissen Sie, die arme Miss Devenish hatte vollkommen recht, wenn sie immer sagte, wir müssten uns unserer Geschichte stellen und die Wahrheit aufdecken, weil wir sonst nie wieder ein richtiges Dorf werden können und nichts weiter sind als ein Touristenmuseum. Ein schwarzweißer Themenpark.»
    Stefan nickte. Merrily bewunderte die alte Dame, auch wenn ihr schon öfter aufgefallen war, dass Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen einen klareren Blick auf das Geschehen entwickelten, konzentrierter waren und sich viel freimütiger äußerten.
    Die meisten anderen Gemeindemitglieder verhielten sich wesentlich reservierter. Einige Männer hatten es voller Unbehagen vermieden, Stefan die Hand zu geben, als könnten sie sich mit Aids oder sonst etwas anstecken. Ein Schuldirektor im Ruhestand namens Carrington hatte im Vorbeigehen gezischt: «Halten Sie uns nicht für Narren, Mr.   Alder.» Die meisten Frauen dagegen waren entzückt, wenn sie es auch nicht offen zeigten. Sie kannten ihn alle aus dem Fernsehen und hatten eine wohlige Entrüstung verspürt, als bekannt wurde, dass Stefan mit einem älteren Mann, der noch dazu ein umstrittener Bühnenautor war, in die Lodge einziehen würde. Doch er war jung und sehr gut aussehend, anziehend, charismatisch   … und heute Abend würde er exklusiv für sie spielen, und noch dazu waren sie Teil der Aufführung.
    «Der Junge weiß, wie er’s macht.» Big Jim

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