Frucht der Sünde
großen Schluck. Und dann kam der Schock.
Der Engelswein schmeckte total faulig. Es war widerlich.
Er war herb. Richtig sauer. Der Cider, den sie mit Colette im
Ox
getrunken hatte, war billig und süß gewesen und hatte sie zum Lachen gebracht. Der Engelswein dagegen schmeckte ekelhaft nach modrigen Blättern und Schimmel. Er schmeckte sogar noch schlimmer als der Champagner, den sie ein einziges Mal mit Mom getrunken hatte und der eine echte Enttäuschung gewesen war.
Aber es war der Engelswein, und diesen Namen hatte ihm Lucy Devenish gegeben. Wütend trank Jane noch einen Schluck. So schlecht konnte er doch gar nicht sein. Vermutlich zeigte das nur wieder mal, was für ein Kind sie noch war und dass sie nicht einmal die Qualität des besten Ciders erkennen konnte, der nach einem alten Rezept aus einer sagenumwobenen Apfelsorte hergestellt worden und in der Flasche gegoren war.
Trotzdem würde sie jetzt nicht aufgeben. Sie musste einfach versuchen, mit Colette in Kontakt zu treten. Sie musste ihre
Verbindung
nutzen.
Und dazu musste sie sich in die gleiche Stimmung versetzen wie an dem Abend mit Colette, an dem sie gemeinsam im
Ox
gesessen, über Leute wie Bull-Davies gelacht und festgestellt hatten, wie gut sie sich trotz ihrer Verschiedenheit verstanden. Dann fiel Jane wieder ein, wie sie auf Dean Walls Jacke gekotzt hatte, und fast wäre ihr erneut schlecht geworden.
Dieser Cider enthielt viel mehr Kohlensäure als der andere.Und es funktionierte nicht. Sie hatte Massen davon getrunken, jedenfalls erschien es ihr so, spürte aber überhaupt keine Wirkung.
Der Apfelgarten verströmte einen schweren, muffigen Geruch, und der Boden war feucht. So war es damals auch nicht gewesen. Jane versuchte sich in den Moment zu versetzen, in dem Colette ihr hatte Angst einjagen wollen. Doch es war ihr nicht gelungen. Stattdessen hatte Jane eine Erfahrung gemacht, die sie nicht teilen konnte. Und darauf war Colette eifersüchtig. Sie wollte immer die Anführerin sein, immer alles wissen, immer alles verstehen. Deshalb war sie in der Partynacht in den Apfelgarten gegangen. Sie wollte unbedingt die gleiche Erfahrung machen wie Jane. Auf die Ebene der Zentralsphäre kommen, wie Lucy es bezeichnet hätte, die
Verbindung
spüren.
Und dann war sie verschwunden.
Alle suchten nach ihr, und manchmal erschien sie ihren Freunden, doch wenn sie angesprochen wurde, verschwand sie sofort wieder.
Jane trank noch einen Schluck von dem grässlichen Engelswein. Die knorrige Rinde des Apfelbaum-Mannes drückte sich in ihren Rücken. Sie schloss die Augen, regte sich nicht mehr und konzentrierte sich auf Colette, die in einem Land des Lichts umherwanderte. Inzwischen musste sie gelernt haben, dass sie dort niemand Besonderes war, dass es höhere Kräfte und verborgene Regeln gab und dass alles, was sie für echt cool gehalten hatte, in Wirklichkeit oberflächlich und unwichtig war.
Das musste sie jetzt begriffen haben. Also war es Zeit, dass sie zurückkam.
«Colette», flüsterte Jane. «Hörst du mich, du blöde Nuss? Ich bin’s. Ich bin zurückgekommen. Ich bin gekommen, um dich zu holen.»
Zur Antwort raschelte es irgendwo am Rand der Lichtung im Gebüsch. Möglicherweise ein Fuchs oder ein Dachs, doch Janedachte, es müsse Colette sein. Sie hatte ein klares Bild von ihr vor sich. Sie würde mit ihrem Nasenstecker und der roten Regenjacke über dem aufreizenden schwarzen Kleid durch den Apfelgarten auf sie zukommen.
Das Rascheln schien sich genähert zu haben. Wenn sie jetzt die Augen öffnete, würde sie
sehen
… Ein Schauer lief ihr über den Rücken, und Dr. Samedi fiel ihr wieder ein.
‹… and de drummin’ begin, feel de drummin’ inside, fingers dancin’, dancin’, dancin’ up an’ down yo spine …›
Colette. Colette kam. Sie kam zurück. Jane konnte ihre Augen kaum noch geschlossen halten.
Sie muss ganz schnell festgehalten werden. Aber sprechen darf man dabei nicht, sonst kommt sie niemals mehr zurück.
Jane konzentrierte sich darauf, ihre Augen geschlossen zu halten, all ihre Gedanken auf Colette zu richten und sich ihr Bild bis zu einem Krümel Wimperntusche, der an der Spitze einer Wimper hing, in jeder Einzelheit vorzustellen. Der Nasenstecker blitzte im Licht des merkwürdig roten Mondes auf, und an ihrem linken Schneidezahn klebte eine Spur Lippenstift.
Sie hörte Colettes Stimme aus der anderen Nacht herüberklingen.
Sieh doch mal nach oben. Tu’s für mich. Nur ein Mal. Und dann gehen
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