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Frucht der Sünde

Frucht der Sünde

Titel: Frucht der Sünde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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Thomas Bull wäre vollkommen entsetzt gewesen, als er erfuhr, dass sein Gemeindepriester homosexuell war. Ich weiß nicht genau, wie viele anglikanische Priester heutzutage schwul sind, aber wenige sind es nicht, und wenn man sie alle rauswerfen würde, dann müssten wahrscheinlich ein paar hundert Kirchen über Nacht schließen. Und wie war es damals? Noch dazu auf dem Land, wo die Leute gegenüber sexuellen Fragen eher   … pragmatisch eingestellt waren?»
    «Mmh, wissen Sie», er fuhr sich durchs Haar, «ich weiß nicht genau, wo Sie in dieser Sache stehen. Als Frau.»
    «Was das angeht», sagte Merrily, «glaube ich, dass sich schon immer viele homosexuelle Männer zum Priesteramt hingezogen fühlten, denn es ist ein Beruf, für den sie sehr gut geeignet sind. Es ist eine Arbeit, bei der einem sogenannte ‹weibliche Qualitäten› häufig etwas nützen können. Ich schätze, nachdem Frauenso lange nicht zugelassen wurden, waren es die Schwulen, die viel dafür getan haben, den Laden zusammenzuhalten. Sie haben der Kirche ein menschliches Antlitz gegeben, ohne das sie vielleicht nicht überlebt hätte. Ergibt das irgendeinen Sinn?»
    Stefan Alder trat einen Schritt beiseite, nahm unbewusst eine leicht tuntige Pose ein und stützte die Hand auf die Hüfte. Merrily war sicher, ihn schon früher gesehen zu haben. Vielleicht im Fernsehen.
    «Das ist wirklich schön.» Er strahlte übers ganze Gesicht. «Es ist wirklich schön, was Sie da sagen, wissen Sie das? Ich weiß jetzt, dass ich Ihnen vertrauen kann.»
    «Oh   … Richard schien zu denken, dass ich irgendwelche Vorurteile hätte. Habe ich aber nicht.»
    «Sehen Sie», fing Stefan an, «ich versuche es Ihnen zu erklären. Es ist jetzt sein Projekt, aber zuerst hat Richard es nur für mich getan. Wir hatten uns ein paar Tage freigenommen, und Richard suchte eher halbherzig nach einem Wochenend-Cottage. Als wir hier angekommen waren, mieteten wir uns im
Black Swan
ein. Nach dem Abendessen ging Richard ins Zimmer, weil er Kopfschmerzen hatte, und ich setzte mich in die Lounge, um in ein paar Touristenführern zu blättern. Und dann, als ich über die Kirche las, erinnerte ich mich an Williams’ Geschichte, und ich fühlte mich ganz merkwürdig, als ich durchs Fenster den Turm seiner Kirche sah   … Ich meine, ich hatte ja von ihm gelesen, aber vergessen, in welchem Dorf er gelebt hatte. Und dann saß ich plötzlich nur ein paar Schritte von der Stelle entfernt, an der er   … gestorben ist.»
    Er wirkte sehr ätherisch, wie er so vor den blühenden Apfelbäumen stand, die in ihrer weißen Pracht ein bisschen wie Geister aussahen. Mit einem unbehaglichen Gefühl erinnerte sich Merrily daran, was Gomer Parry über den Apfelbaum-Mann gesagt hatte, der im Winter so knorrig und unfruchtbar gewirkt hatte und nun so prächtig blühte.
    «Ich wusste einfach, dass Wil, selbst wenn er dazu imstande gewesen wäre, niemals einen Apfelgarten zerstört hätte», sagte Stefan. «Schon gar nicht die größte Pflanzung in Hereford. Das wäre gewesen, als hätte er das Land selbst vergiftet. Die Natur war für ihn ein Aspekt Gottes. Es wäre Blasphemie gewesen. Er war garantiert kein Hexer. Mit einem Mal fühlte ich mich ihm sehr, sehr nahe. Er war in der Luft, in den Gerüchen, in der ganzen Aura dieses Ortes. Und dann   …»
    Er flüsterte beinahe. Merrily hielt immer noch den Zweig in der Hand, den er ihr gegeben hatte. Ihr war klar, dass er ihr eine Vorstellung lieferte, aber die Atmosphäre verzauberte sie.
    «Ich konnte ihn sehen. Ich konnte diesen armen Kerl, den sie zu Tode gehetzt hatten, am Baum hängen sehen. Ganz allein. Ganz allein zwischen den Apfelbäumen. Damals war Frühling. Genau wie jetzt. Ich konnte die Blüten sehen, die wie Sterne auf sein Haar gefallen waren   …»
    Inzwischen glitzerten Tränen in seinen Augen, aber es kam Merrily nicht so vor, als würde er das alles spielen. Irgendwie hielt sie ihn nicht für einen so guten Schauspieler. Dachte er wirklich, er hätte Wil an einem Baum hängen sehen, oder beschrieb er nur seine Vorstellung? Vielleicht war das auch gar nicht wichtig.
    «Merrily, das war der spirituellste Augenblick meines Lebens. Ich wusste einfach, dass ich dazu bestimmt war hierherzukommen. Aber warum gerade ich? Wer war ich? War ich er? In einem früheren Leben? Nein.» Er schüttelte den Kopf. «Man verliebt sich nicht in sich selbst. Jedenfalls nicht auf diese Art.»
    Meine Güte. Sie wusste nicht, was sie von alldem halten

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