Frucht der Sünde
bekam es immer mit, wenn sie über den Tisch gezogen werden sollte.
«Wieso glaubst du, dass ich zu Colettes Party gehen will?»
«Willst du etwa nicht?»
Jane zuckte mit den Schultern. «Und wann müsste ich wieder zu Hause sein?»
Jetzt zuckte Merrily mit den Schultern.
«Ehrlich?»
«Ich vertraue auf deine Vernunft. Und dass
du
noch nicht sechzehn bist, vergisst du bestimmt auch nicht, oder?»
«Also lass dich nicht flachlegen, willst du wohl sagen.»
Merrily sah ihre Tochter an. «So was in der Art.»
«Tja, ich hab’s ja gerade schon gesagt», Jane setzte ein mitleiderregendes Lächeln auf und wirkte mit einem Mal viel älter, «es gibt keinen einzigen gutaussehenden Typen hier.»
Als sich Jane auf den Schulweg gemacht hatte, saß Merrily noch eine Weile am Tisch und starrte ihren kalten Toast an. Dann ging sie zum Telefon.
War sie dabei, eine Niederlage einzugestehen? Aber was solltesie machen? Wie üblich hatte Jane einen Nerv getroffen. Merrily tippte die Nummer der Universität aus dem Kopf ein.
«Könnte ich bitte mit Dr. Campbell sprechen?»
Die Frau von der Vermittlung sagte, David Campbell würde gerade sprechen, und Merrily wartete. David war der einzige von ihren früheren Tutoren, von dem sie sich einen guten Rat versprach.
Wir haben keine Exorzismen gemacht. Der einzige Geist, von dem dort gesprochen wurde, war der Heilige Geist.
Sie kam sich ziemlich dumm vor. «Ich stelle Sie durch», sagte die Frau von der Vermittlung.
«Merrily Watkins! Wie geht es Ihnen, meine Liebe?»
«Hallo, David.»
«Heute ist die Amtseinführung, oder?»
«Heute Abend. Woher wissen Sie das?»
«Ach, man hört so manches.»
«David, sind Sie allein?»
«Man hofft ja, dass man niemals allein ist.»
Er meinte Gott. Merrily überlegte sich, ob sie einen Rückzieher machen und ihn nur irgendetwas zum Ablauf der Amtseinführung fragen sollte. Doch schon hatte ihr Schweigen zu lange gedauert.
«Wo liegt das Problem, meine Liebe?», fragte David leise.
«Also. Ich glaube … Oje, es klingt so …»
«Sprechen Sie nur.»
«Na gut. Ich glaube, dass mein Pfarrhaus von einem Geist heimgesucht wird, und ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll.»
David sagte: «Ich verstehe.»
«Da bin ich aber froh», sagte sie, «denn ich verstehe es nicht. Meinem Onkel Ted zufolge, Gemeinderatsmitglied und Dorforakel, hatte mein Vorgänger in dieser Hinsicht keine Probleme. Und er hat über fünfunddreißig Jahre in diesem Pfarrhaus gewohnt.»
«Und weshalb glauben Sie, dass das Pfarrhaus heimgesucht wird?»
Hatte seine Stimme gerade reservierter geklungen als vorher?
«Oh», sagte sie, «das Übliche oder was man so für das Übliche hält. Geräusche von Schritten in der Nacht. Ich sehe Dinge, die … nicht da sein können. Es ist keine Einbildung, auch wenn die Erscheinungen mit meinen Träumen in Verbindung zu stehen scheinen. Ich will sagen … manches findet in richtigen Träumen statt, und manchmal denke ich, ich wäre wach, während ich in Wirklichkeit träume, und umgekehrt. Und ich … sehen Sie, ich weiß, was Sie denken, und es stimmt, dass ich ein bisschen überarbeitet bin und dass es in letzter Zeit ein bisschen schwierig war, als wir zuerst im Hotel gewohnt haben und dann in dieses alte Riesenhaus gezogen sind und …»
«Beruhigen Sie sich.»
«Ich bin vollkommen ruhig. Und dann hat meine Tochter heute Morgen gefragt, ob wir an der Uni keinen Exorzismus gelernt haben, und ich muss sagen, nein, dieses Thema haben wir nicht einmal gestreift. Warum nicht, David?»
«Wie geht es Jane?»
«Gut.»
«Wie alt ist sie jetzt? Vierzehn?»
«Fünfzehn. Wollen Sie damit sagen, dass die meisten Poltergeist-Erscheinungen von pubertierenden Jugendlichen stammen? Dass Jane dahintersteckt?»
«Darüber kann ich mir kein Urteil erlauben.»
«Aber warum?», fragte Merrily. «Warum haben wir uns nie mit diesem Thema beschäftigt? Wir haben täglich mit dem Übersinnlichen zu tun, und trotzdem haben wir nie über Geister gesprochen.»
«Stimmt», sagte David. «Wir haben nie über Parapsychologie diskutiert, und sei es nur, um uns davon abzugrenzen. Also, zuerstlassen Sie mich sagen, dass ich vollkommen überzeugt davon bin, dass es unerklärliche Phänomene gibt.»
«Also halten Sie mich nicht für verrückt.»
«Natürlich nicht. Aber ich möchte Ihnen eine Frage stellen, auf die ich selbst keine rechte Antwort habe: Gehören diese Phänomene wirklich zu unserer Arbeit? Sprechen
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