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Fruchtbarkeit - 1

Fruchtbarkeit - 1

Titel: Fruchtbarkeit - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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zärtlichen Blicke der Frauen, denen der Anblick eines Kindes stets zu Herzen geht.
    »Wie schade, wie kann man nur das Herz haben …«, begann sie.
    Dann hielt sie inne und fuhr nach einem Augenblicke fort: »Ja, das bricht einem das Herz, wenn man sich von so einem kleinen Engel trennen muß!«
    »Guten Abend! Leben Sie Wohl!« rief die Couteau. »Ich werde noch den Zug versäumen. Und ich habe alle Retourbillete bei mir, die fünf andern erwarten mich auf dem Bahnhof. Na, die werden mir einen Tanz machen!«
    Sie eilte hinaus, und Mathieu folgte ihr. Sie nahm drei Stufen auf einmal und wäre beinahe mit ihrer kleinen Last gefallen. Nachdem sie sich in den Wagen geworfen und dieser sich in Bewegung gesetzt hatte, rief sie:
    »Uff! Gott sei Dank! – Haben Sie die gehört? Sie, wollte nicht fünfzehn Franken monatlich daran wenden, und nun macht sie dieser guten Mademoiselle Rosine einen Vorwurf, die mir vierhundert Franken gibt, damit man ihren Kleinen bis zu seiner ersten Kommunion betreut! Es ist wahr, es ist ein prächtiges Kind, der Kleine. Sehen Sie ihn nur an. Ah, wenn die Liebe Kinder erzeugt, dann macht sie sie gut! Schade, daß es gerade die hübschesten sind, die am schnellsten sterben.«
    Mathieu betrachtete das Kind, das auf den Knien der Frau den Platz von Norines Kind eingenommen hatte. Es war in feine, spitzenbesetzte Wäsche gekleidet, mit einem schönen weißen Wickelband umwickelt, gleich einem verurteilten Fürstenkinde, das man prächtig eingehüllt zur Todesstätte bringt. Und er gedachte der schauderhaften Geschichte dieses kleinen Wesens – der Vater im Bette der Tochter drei Monate nach dem Tode der Mutter, das Kind der Blutschande im geheimen Wochenbette zur Welt gekommen und um einen festen Preis der Pflegerin überliefert, die es in aller Stille verschwinden lassen würde, mit Hilfe eines zufällig offen gelassenen Fensters oder einer Tür. Der Säugling hatte ein feines Gesichtchen, das bereits die Spuren engelhafter Schönheit zeigte, und war sehr still, stieß keinen Schrei aus. Ein schauderndes Grauen überlief Mathieu.
    Am SaintLazareBahnhofe sprang die Couteau eilig aus dem Wagen.
    »Danke, mein Herr, Sie waren sehr liebenswürdig. Empfehlen Sie mich den Damen Ihrer Bekanntschaft, wenn sie meiner Dienste bedürfen sollten!«
    Dann sah Mathieu, der ausgestiegen war, ein Schauspiel, das ihn noch einen Augenblick festhielt. Fünf Frauen von bäuerlichem Aussehen, jede mit einem Kinde auf dem Arme, liefen aufgeregt unter den Reisenden und dem Gepäck hin und her, gleich geängstigten Krähen, ihre großen, gelben Schnäbel weit offen, unruhig mit den schwarzen Flügeln schlagend. Als sie die Couteau erblickten, stürzten sich alle fünf gierigen Fluges und mit lautem Krächzen auf sie. Und nach einem kurzen Austausch heftigen Geschreis und wütender Erklärungen eilten die sechs vereint auf den Zug los, mit flatternden Röcken und Haubenbändern, die Kinder mit sich entführend, wie ein Zug Raubvögel, die fürchten, die Rückkehr zum Nest zu versäumen. Sie stiegen im Rauch und unter dem Pfeifen der Lokomotive ein und verschwanden.
    Mathieu blieb allein inmitten der Menge des Bahnhofes. Zwanzigtausend Kinder wurden in dieser Weise jährlich von diesen Unheilsraben aus Paris entführt, und keines sah man je wieder. Nicht genug, daß die Menschheitssaat vergeudet, dem Vergnügen zuliebe auf das heiße Pflaster geschüttet wurde, nicht genug, daß die Ernte durch den schrecklichen Ausfall der Fehlgeburten und Kindesmorde gelichtet wurde, es mußte auch noch der lebende Ertrag schlecht zur Scheune gebracht, die Hälfte vernichtet, zertreten, gemordet werden. Die Zerstörung wurde fortgesetzt, Diebinnen und Mörderinnen, die die Beute witterten, kamen aus allen vier Windrichtungen herbei und schleppten von dannen, was ihre Arme an aufkeimendem, lallendem Leben tragen konnten, um es dem Tode zu überliefern. Sie waren die Zutreiberinnen, sie lauerten an den Türen, sie rochen von weitem ihre unschuldigen Opfer. Ihre Frachtkarren rollten unaufhörlich den Bahnhöfen zu, sie leerten die Wiegen, die Säle der Spitäler und der Gebärhäuser, die stillen Zufluchtsorte der Armenverwaltung, die unsauberen Zimmer der Hebammen, die elenden Lagerstätten der Wöchnerinnen ohne Feuer und ohne Brot. Die Pakete wurden alle auf einen Haufen gelegt, herumgeworfen, weggeführt, dann dort drunten im unbekannten Lande verteilt, dem fahrlässigen oder vorbedachten Morde überliefert. Die Raffnetze fuhren

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