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Fruchtbarkeit - 1

Fruchtbarkeit - 1

Titel: Fruchtbarkeit - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Eifersüchtigen, die zwischen Kind und Mann sich für den letzteren entscheiden, sich für ihn allein bewahren, aus Furcht, daß er sie sich selbst überlasse. – So macht diese kleine Frau Séguin den Leuten eine Komödie vor, wenn sie sich trostlos stellt und sagt, sie hätte so gerne selbst gestillt, aber sie habe keine Milch gehabt. Die Wahrheit ist, daß sie es nie versucht hat, und daß sie ihrem ersten Kinde sicherlich eine so gute Amme gewesen wäre, wie irgendeine Mutter. Aber heute ist es nicht mehr die Liebe zu ihrem Gatten, die sie hindert, o nein, heute ist sie einer solchen Aufgabe nicht mehr gewachsen, nach dem wüsten und sinnlosen Leben, das sie führt, und das Schlimmste ist, daß, nach drei oder vier Generationen von Müttern, die nicht selber stillen, sie schließlich die Wahrheit sagen, wenn sie sagen, daß sie nicht stillen können: sie können wirklich nicht mehr, die Brustdrüse verkümmert und verliert die Fähigkeit, Milch auszuscheiden. Dahin werden wir gelangen, lieber Freund, zu einer Rasse elender, zerrütteter, unvollständiger Frauen, vielleicht noch fähig, zufälligerweise ein Kind zu bekommen, total unfähig, es zu nähren.«
    Mathieu erinnerte sich sodann an alles, was er bei der Bourdieu und im Findelhause gesehen hatte. Er sprach seine Gedanken Boutan gegenüber aus, der abermals seine trostlose Gebärde machte. Seiner Ansicht nach blieb noch ein ungeheures Werk menschlichen Gemeinsinns und sozialer Wohlfahrt zu schaffen. Unleugbar zeigte sich bereits eine Bewegung schöner Menschenfreundlichkeit, viele private Wohltaten wurden ausgeübt, viele barmherzige Institute begründet. Aber gegenüber der ungeheuren offenen, stets blutenden Wunde blieben diese lokalen Mittel unwirksam, zeigten kaum mehr als den zu verfolgenden Weg. Wessen es bedurfte, das waren allumfassende Maßregeln, Gesetze, welche die Nation retteten: von den ersten Leidenstagen der Schwangerschaft angefangen, müßte die Frau unter öffentlichem Schutze stehen, müßte heilig werden, aller schweren Arbeit enthoben; sodann müßte sie in Ruhe und Sicherheit, im geheimen, wenn sie es wünscht, gebären können, ohne daß man etwas andres von ihr verlangt, als Mutter zu sein; endlich müßten dann Mutter und Kind verpflegt und versorgt werden, sowohl während der Rekonvaleszenz als auch während der langen Monate des Stillens, bis zu dem Tage, wo das Kind endlich lebenskräftig geworden ist und die Frau wieder eine starke und gesunde Gattin sein kann. Es wären also eine Reihe von Vorbeugungsmaßregeln zu treffen und entsprechende Institute zu schaffen: Zufluchtsorte für Schwangere, verschwiegene Gebärhäuser, Asyle für Rekonvaleszenten, abgesehen von Unterstützungen während der Ammenschaft und von Schutzgesetzen für die Mütter. Um das Uebel zu bekämpfen, den entsetzlichen Ausfall der Geburten, den erbarmungslosen Tod, der über die Neugeborenen hinfegt, gab es nur ein radikales Mittel: ihm zuvorzukommen. Nur durch vorbeugende Maßregeln konnte man dahin gelangen, der furchtbaren Opferung der Neugeborenen Einhalt zu tun, die offene Wunde in der Weiche der Nation zu schließen, an der sie verblutet, an der sie täglich mehr stirbt.
    »Und,« fuhr der Arzt fort, »alles dies läßt sich in den einen Grundsatz zusammenfassen, daß die Mutter ihr Kind nähren muß. In unsrer Demokratie wird die Frau, sobald sie schwanger ist, ein höheres Wesen. Sie ist das Symbol aller Größe, aller Kraft, aller Schönheit. Die Jungfrau ist nur eine Negation, die Mutter ist die Ewigkeit des Lebens. Sie sollte von einem sozialen Kultus umgeben, sie sollte unsre Religion sein. Wenn wir dazu gelangt sein werden, die Mutter anzubeten, so wird das Vaterland zunächst und dann die ganze Menschheit gerettet sein. – Daher möchte ich haben, lieber Freund, daß das Bild einer Mutter, die ihr Kind trinken läßt, der höchste Ausdruck menschlicher Schönheit sei. Ach, wie doch nur unsern Pariserinnen, allen unsern Französinnen das Gefühl einflößen, daß die Schönheit der Frau darin besteht, Mutter zu sein mit einem Kinde auf den Knieen! An dem Tage, da diese Mode durchdränge, wie die Frisur à la Botticelli oder die engen Röcke, wären wir die gebietende Nation, die Herren der Welt!«
    Auf seine Lippen trat ein trübes Lächeln der Mutlosigkeit über sein Unvermögen, die Sitten zu ändern, die zahlreichen Familien in die Mode zu bringen, denn er wußte nur zu gut, daß man ein Volk nur verwandeln kann, indem man seinen

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