Fruchtbarkeit - 1
wieder erschien, sagte sie kein Wort, und Mathieu stellte keine Frage an sie. So bestiegen sie schweigend wieder den Wagen. Erst zehn Minuten später, als der Wagen bereits wieder durch die belebten Straßen rollte, fing die Couteau zu lachen an. Und als ihr Gefährte, immer noch stumm und abweisend, es nicht der Mühe wert fand, sie um den Grund dieser plötzlichen Heiterkeit zu fragen, sagte sie endlich: »Sie wissen nicht, warum ich lache. – Wenn ich Sie dort ein wenig habe warten lassen, so war es deshalb, weil ich, als ich das Bureau verließ, eine Freundin traf, die Krankenwärterin im Hause ist. Ich muß Ihnen nämlich sagen, daß die Krankenwärterinnen die Kinder zu den Pflegerinnen in der Provinz bringen. Nun, meine Freundin hat mir gesagt, daß sie morgen mit zwei andern Krankenwärterinnen nach Rougemont fahren wird, und daß sie unter der Partie, die sie mitnehmen, sicherlich auch das Kleine haben werden, das ich eben hergebracht habe.«
Wieder verzog sich ihr süßliches Gesicht, als sie ihr kurzes Lachen ausstieß.
»Wie, ist das nicht komisch? Diese Kleine wollte durchaus nicht, daß ich ihr Kind nach Rougemont mitnehme, und jetzt kommt es erst recht dorthin! Ja, so geschehen die Dinge trotz alledem manches Mal.«
Mathieu antwortete nicht. Aber ein eisiger Hauch ging ihm übers Herz. Ja, so war es, das Schicksal ging seinen Weg, erbarmungslos. Was würde aus dem armen Geschöpfe werden? Welchem frühen Tode, welchem Leben des Leidens, des Elends oder des Verbrechens hatte man es brutal hingeworfen, wie einen jungen Hund, den man dem Zufall nach aus dem Wurf auswählt, um ihn auf der Straße auszusetzen?
Der Wagen setzte sich wieder in Bewegung, es war wieder nichts hörbar als das Rasseln der Räder. Als sie Rue Miromesnil vor dem Hause der Hebamme anlangten, begann die Couteau wieder zu klagen, daß es schon halb sechs Uhr sei, und daß sie sicher den Zug versäumen werde, um so mehr, als sie noch abzurechnen und das andre Kind von oben mitzunehmen habe. Mathieu, der den Wagen behalten wollte, um sich nach dem Nordbahnhofe fahren zu lassen, gab der schmerzlichen Neugierde nach, alles kennen zu lernen und die Abreise der Zuführerinnen mitanzusehen. Er beruhigte also die Frau und sagte ihr, er werde auf sie warten, sie möge sich beeilen. Und da sie sagte, sie werde eine Viertelstunde brauchen, ging auch er hinauf, um Norine zu sehen.
Er fand sie allein, im Bette sitzend, im Begriffe, eine der Orangen zu essen, die ihre kleinen Schwestern ihr gebracht hatten. Mit der Leckerhaftigkeit eines hübschen, üppigen Mädchens teilte sie die Frucht sorgsam und sog an den Schnitten mit ihren vollen roten Lippen, die Augen halbgeschlossen, gleich einer Katze, die behaglich eine Schüssel Milch leckt. Sie schrak auf beim plötzlichen Öffnen der Tür, und als sie den Eintretenden erkannte, lächelte sie ein wenig verlegen. »Es ist geschehen,« sagte Mathieu einfach.
Sie antwortete nicht gleich und wischte sich die Finger an ihrem Taschentuche ab. Sie mußte sich aber gleichwohl entschließen zu sprechen.
»Sie sagten nicht, daß Sie wiederkommen würden, ich habe Sie nicht erwartet. – Es ist also geschehen, um so besser. Ich versichere Ihnen, daß es unmöglich war, es anders zu machen.«
Sie sprach dann von ihrem baldigen Fortgehen, fragte, ob sie wohl wieder in die Fabrik eintreten könnte, und erklärte, daß sie sich trotz allem wieder dort vorstellen werde, um zu sehen, ob der Chef die Kühnheit haben werde, sie hinauszuweisen.
»Nicht etwa, daß ich in Verlegenheit wäre, wissen Sie, oder daß es mir leid um ihn täte, denn nie werde ich an einen niederträchtigeren Menschen geraten, als er ist.«
Es vergingen lange Minuten, und das Gespräch wurde peinlich, da Mathieu kaum antwortete, als endlich die Couteau wieder erschien, in größter Eile, mit dem andern Kinde auf dem Arme.
»Schnell, schnell! Sie werden nicht fertig mit ihren Verrechnungen, sie wollen eine die andre dabei übertreffen, mir nicht zwei Sous zu viel lassen!«
Norine hielt sie zurück. »Das ist das Kind von Mademoiselle Rosine? Ich bitte Sie, zeigen Sie es mir.«
Sie enthüllte das Gesicht und rief aus: »Nein, wie stark und schön er ist! Das ist einer, der so viel Lust als möglich hat, zu leben.«
»Ja freilich,« bemerkte die Couteau philosophisch. »Im Augenblick, wo es aller Welt im Wege ist, kann man sicher sein, daß es ein Prachtkind ist.«
Norine betrachtete das Kleine mit lebhaftem Interesse und mit dem
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