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Fruchtbarkeit - 1

Fruchtbarkeit - 1

Titel: Fruchtbarkeit - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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erbarmungslos hin, die Sensen mähten die Halme zu jeder Stunde, ohne eine Ruhezeit zu kennen. So wie sie schlecht gesät, schlecht geerntet worden waren, so wurden die Neugeborenen nun schlecht genährt. Und daraus entstand der ungeheure Ausfall, daß man lebende und lebensfähige Kinder tötete, indem man sie der Mutter wegnahm, der einzigen Nährerin, deren Milch sie am Leben erhalten konnte.
    Eine Blutwelle erwärmte das Herz Mathieus, als plötzlich das Bild Mariannens vor ihm aufstieg, die ihn auf der Brücke der Yeuse inmitten der weiten Landschaft erwartete, mit ihrem Gervais an der Brust. Gewisse statistische Zahlen, die er gelesen hatte, fielen ihm ein. In den Departements, die sich mit der Industrie der Kinderpflege befassen, betrug die Sterblichkeit der Neugeborenen fünfzig Prozent; in den besseren vierzig; in den schlechtesten siebzig. Man hatte berechnet, daß in hundert Jahren deren siebzehn Millionen gestorben waren. Lange Zeit hatte die Gesamtsterblichkeit pro Jahr hundert bis hundertzwanzigtausend betragen. Die blutigsten Zeiten der Geschichte, die Schlächtereien der furchtbarsten Eroberer hatten keine solche Massakers angerichtet. Es war eine Riesenschlacht, die Frankreich jedes Jahr verlor, das Grab aller Kraft, die Mordstätte aller Hoffnung. Und am Ziele drohte unabwendbar die Vernichtung, der unsinnige Tod der Nation. Von Entsetzen ergriffen, eilte Mathieu davon, hatte nur noch das eine Verlangen, wieder in die trostreiche Nähe Mariannens zu gelangen, mit ihr wieder vereint zu sein in ihrem gemeinschaftlichen Frieden, ihrer Gesundheit, ihrem Glücke.
     
     

3
    Eines Donnerstags war Mathieu mittags zum Essen bei Doktor Boutan in der kleinen Wohnung im Halbstock, welche dieser schon seit mehr als zehn Jahren in der Rue de l’Université hinter dem Palais Bourbon innehatte. Dieser leidenschaftliche Apostel der Fruchtbarkeit war, und er lachte selbst über diesen merkwürdigen Widerspruch, unvermählt; er erklärte dies in seiner behaglich scherzenden Weise damit, daß er so freier sei, die Frauen andrer zu entbinden. Infolge seiner starken Inanspruchnahme durch seine große Praxis hatte er kaum eine andre Stunde frei als die um Mittag, so daß er, wenn ein Freund eine ernste Unterredung mit ihm wünschte, diesen am liebsten zu seiner bescheidenen Junggesellenmahlzeit lud: ein Ei, eine Kotelette, eine Tasse Kaffee, alles in Eile genommen.
    Es war ein Rat über eine ernste Angelegenheit, den Mathieu von ihm erbitten wollte. Nach zwei weiteren Wochen des Nachdenkens erfüllte ihn sein Traum, die Kultivierung, die Erweckung dieses von allen verkannten Besitzes Chantebled zu versuchen, in einem solchen Maße, daß seine Unentschlossenheit ihm Qualen bereitete. Jeden Tag wuchs in ihm der unwiderstehliche Drang, zu zeugen, das Leben fortzupflanzen, wuchs das gebieterische Verlangen des Menschen, der sich berufen sieht, sein Werk zu leisten, Reichtum, Kraft und Gesundheit zu schaffen, und der darüber nicht schlafen kann. Aber welch hohen Mutes, welch frohherziger Hoffnung bedurfte es, um ein Unternehmen von solcher anscheinenden Tollheit zu wagen, dessen tiefbegründete und vorausschauende Weisheit er allein fühlte! Und mit wem sollte er diese Frage frei erörtern, wem seine letzten Zweifel anvertrauen? Da kam ihm der Gedanke, Doktor Boutan zu befragen, und er bat ihn unverweilt um eine Zusammenkunft. Das war der Vertraute, dessen er bedurfte, ein freier und tapferer Geist, ein begeisterter Freund des Lebens, ein umfassender Verstand, der nicht in die Grenzen seines Berufes eingeengt war, der imstande sein würde, über die ersten Schwierigkeiten der Ausführung hinauszusehen.
    Sobald sie einander gegenüber am Tische saßen, begann Mathieu seine Beichte, entwickelte mit ganzer Seele seinen Traum, deklamierte sein Gedicht, wie er selbst es lachend nannte. Der Arzt hörte ihm zu, ohne ihn zu unterbrechen, sichtbar von seiner wachsenden Erfinderbegeisterung mit fortgerissen. Endlich, als es an ihm war, seine Meinung zu äußern, sagte er: »Mein Gott, lieber Freund, ich kann Ihnen praktisch eigentlich gar nichts sagen, denn ich habe nie auch nur einen Krautkopf gepflanzt. Ich will sogar hinzufügen, daß mir Ihr Plan von solcher Waghalsigkeit scheint, daß ein jeder Fachmann, den Sie etwa befragen würden, Sie mit einer ganzen Reihe der überzeugendsten, unwiderleglichsten Gründe davon abbringen würde. Jedoch Sie sprechen von diesem Werke mit einer prächtigen Zuversicht, mit einer warmen

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