Fruchtbarkeit - 1
des Mundes und des Afters, denn die erbliche Syphilis ist stets zu fürchten. Er entdeckte keinen Makel.
Er erhob den Kopf, um zu fragen:
»Es gehört doch hoffentlich Ihnen, dieses Kind?«
»O Herr Doktor! Woher hätte ich es denn nehmen sollen?«
»Ja, meine Liebe, man bekommt derlei zu leihen.«
Die Prüfung war beendet. Er sprach sein Urteil nicht gleich aus, sondern betrachtete sie noch eine Weile schweigend, von einem Mißtrauen beherrscht, dessen Grund er nicht anzugeben wußte, denn sie schien wirklich alle wünschenswerten guten Eigenschaften zu vereinigen.
»Sind alle Mitglieder Ihrer Familie gesund? Sind keine Verwandten von Ihnen an Lungenkrankheiten gestorben?«
»Kein einziger.«
»Natürlich werden Sie es mir nicht sagen. Die Ausweisbücher sollten eine Seite für derlei Auskünfte haben. – Und sind Sie nüchtern, trinken Sie nicht?«
»O Herr Doktor!«
Dieses Mal wurde sie böse, empörte sie sich, und man mußte sie beruhigen. Ihr Gesicht erhellte sich jedoch mit lebhafter Freude, als der Arzt, mit der Gebärde eines Mannes, der sich zu einer Wahl entschließt, bei der immerhin ein gutes Teil Zufall mitspielt, erklärte:
»Also gut, ich nehme Sie. Wenn Ihr Kind sogleich fortgebracht werden kann, so können Sie heute abend in dem Hause eintreten, dessen Adresse ich Ihnen geben werde. Wie heißen Sie?«
»Marie Lebleu.«
Madame Broquette hatte, ohne sich zu gestatten, einem Arzte in seine Wahl dreinzureden, ihre Majestät, die Haltung der distinguierten Dame bewahrt, die das moralische und bürgerliche Firmenschild des Hauses darstellt. Sie wendete sich nun an ihre Tochter.
»Herminie, sieh doch einmal nach, ob Madame Couteau noch da ist.«
Aber da das junge Mädchen langsam ihre hellen, feuchten Augen erhob, ohne sich auch nur zu rühren, fand die Mutter, daß es besser sein würde, wenn sie selbst den Auftrag besorgte. Sie kehrte alsbald mit der Couteau zurück, die eben im Begriffe gewesen war, mit den beiden hübschen Mädchen fortzugehen. Diese erwarteten sie im Flur.
Der Arzt ordnete die Geldfragen, achtzig Franken monatlich der Amme, fünfundvierzig Franken dem Bureau für deren Beherbergung und Verköstigung, welche der Amme von ihrem Lohne abgezogen werden konnten, was aber nie geschah. Es blieb dann noch die Rückbeförderung des Kindes in ihre Heimat, was weitere dreißig Franken kostete, abgesehen von dem Trinkgeld für die Zuführerin.
»Ich fahre heute abend zurück,« sagte die Couteau, »und will den Kleinen gern mitnehmen. Avenue d’Antin, sagen Sie? Ich weiß, ich weiß, eine Landsmännin von mir ist Zofe in dem Hause. Marie kann gleich hingehen. In zwei Stunden, nachdem ich meine Wege besorgt habe, komme ich hin, um ihr das Kind abzunehmen.«
Durch die offen gebliebene Tür erblickte Boutan jetzt im Flur die beiden jungen Bäuerinnen, die lachten und sich stießen, sich wie junge Katzen neckten.
»Diese beiden hat man mir aber nicht gezeigt. Sie sind sehr nett. Sind es Ammen?«
»Ammen, o nein,« sagte die Couteau mit ihrem dünnen Lächeln. »Es sind Mädchen, die ich unterbringen soll.«
Beim Eintreten hatte sie auf Mathieu einen Seitenblick geworfen, ohne ihn übrigens zu erkennen, wie es schien. Dieser war in seinem Sessel sitzen geblieben und hatte diese Untersuchung eines Stückes Vieh, das man kaufen will, mitangesehen, sodann das Markten um diese sich verkaufende Mutter mitangehört, das Herz immer mehr geschwellt von Mitleid und Widerwillen. Dann hatte ihn ein Schauer überlaufen, als die Couteau sich gegen das hübsche, immer noch stille Kind wendete, das sie der Amme abnehmen wollte, wie sie sagte. Und er sah sie wieder auf dem SaintLazareBahnhofe mit den fünf andern, wie sie, jede einen Säugling in den Klauen, davonflogen gleich Unglücks und Todeskrähen. Die Razzia hatte wieder begonnen, wieder ging man daran, dem großen Paris ein Stück Leben und Hoffnung zu stehlen, ein neuer Transport wurde der Vernichtung zugeführt, und hier drohte obendrein ein doppelter Mord, wie der Arzt sagte, das Kind der Mutter und das Kind der Amme waren beide in Todesgefahr.
Als Boutan und Mathieu sich endlich unter den achtungsvollsten Abschiedskomplimenten der Madame Broquette zum Gehen wandten, fanden sie im Flur die Couteau und Monsieur Broquette tief im Gespräch. Der letztere war noch ganz erregt von einem Streit, den er eben mit dem Fleischer gehabt; denn er bedrängte die Lieferanten des Hauses unaufhörlich, gab seinen Ammen die schlechtesten Dinge zu
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