Fruchtbarkeit - 1
essen, beschädigte, halbverdorbene Nahrungsmittel, die er unterm Preise kaufte; ebenso wie er beim Waschen sparte und alles, was man nicht sah, in Schmutz ersticken ließ. Und jetzt flüsterte er Nase an Nase mit der Couteau, indem er Seitenblicke auf die zwei hübschen Mädchen warf, die fortfuhren zu kichern. Zweifellos hatte er eine Idee, wußte er einen guten Platz für sie.
»Alle Gewerbe!« begnügte sich der Arzt zu sagen, als er im Wagen war.
Am Tore der Fabrik hatten sie eine Begegnung, die Mathieu bewegte. Es war Morange, den seine Tochter nach dem Mittagsmahl zu seinem Bureau zurückgeleitete, beide in tiefer Trauer. Am Tage nach der Beerdigung Valéries hatte er wieder seine Tätigkeit als Buchhalter aufgenommen, in einer seelischen Niedergedrücktheit, einer apathischen Resignation, die fast dem Vergessen glichen. Von da ab war es offenbar, daß er allen ehrgeizigen Plänen, die Fabrik zu verlassen, um anderswo sein Glück zu machen, entsagt hatte. Gleichwohl konnte er sich nicht entschließen, seine Wohnung, die nun für ihn zu groß und zu teuer war, aufzugeben: seine Frau hatte da gelebt, so wollte auch er da leben; und dann wollte er diesen Luxus bewahren, um ihn einmal seiner Tochter zum Geschenk zu machen. Alle Schwachheit, alle Zärtlichkeit seines Herzens hing nun an diesem Kinde, dessen Aehnlichkeit mit der Mutter ihn überwältigte. Er sah sie stundenlang an, die Augen mit Tränen gefüllt. Eine große Leidenschaft für diese Tochter wuchs in ihm heran; er hatte nur noch den einen Traum, ihr eine große Mitgift zu geben, in ihr glücklich zu werden, wenn es noch ein Glück für ihn gab. Er wurde zum Geizhalz, er sparte an allem, was sie nicht betraf, faßte den Entschluß, sich Nebenverdienste zu suchen, um sie mit Behaglichkeit umgeben und ihre Mitgift vergrößern zu können. Ohne sie wäre er an Kummer und Apathie gestorben. Sie wurde sein Leben.
»Ja,« antwortete sie mit ihrem hübschen Lächeln auf eine Frage Boutans, »ich begleite ihn zurück, den armen Papa, damit ich sicher bin, daß er einen kleinen Spaziergang macht, ehe er sich wieder an die Arbeit setzt. Sonst bleibt er in seinem Zimmer und rührt sich nicht.«
Morange machte eine entschuldigende Gebärde. Tatsächlich blieb er, wenn er zu Hause war, von Schmerz und Gewissensbissen vernichtet, auf seinem Zimmer, umgeben von einer Sammlung von Photographien seiner Frau in allen Lebensaltern, etwa fünfzehn Bildern, die er an die Wand gehängt hatte.
»Es ist sehr schön heute, Monsieur Morange,« sagte Boutan. »Sie haben recht getan, ein wenig spazieren zu gehen.«
Der arme Mann hob erstaunt den Blick und betrachtete die Sonne, als ob er sie noch nie gesehen hätte.
»Es ist wahr, es ist schönes Wetter heute… Und dann ist es auch gut für Reine, wenn sie ein bißchen ausgeht.«
Er ließ seinen zärtlichen Blick auf dem Mädchen ruhen, das rosig und reizend in ihrer schwarzen Trauerkleidung aussah. Er fürchtete immer, daß sie sich langweile während der langen Stunden, die er sie zu Hause allein mit dem Dienstmädchen lassen mußte. Für ihn war die Einsamkeit so tieftraurig, da sie erfüllt war von der, die er beweinte, die er getötet zu haben sich anklagte!
»Papa will nicht glauben, daß man sich in meinem Alter nie langweilt,« sagte das junge Mädchen fröhlich. »Seitdem meine arme Mama nicht mehr da ist, muß ich wohl eine kleine Hausfrau sein. Und dann holt mich auch die Frau Baronin manchmal ab.«
Sie stieß einen Ruf der Ueberraschung aus, als ein Wagen am Trottoir hielt und ein Frauenkopf sich aus dem Fenster beugte, den sie erkannte.
»Sie nur, Papa, da ist ja die Frau Baronin! Sie muß bei uns gewesen sein, und Klara wird ihr gesagt haben, daß ich dich hierher begleitet habe.«
So hatte es sich in der Tat zugetragen. Morange beeilte sich, Reine zu dem Wagen hinzuführen, den Sérafine nicht einmal verließ. Und nachdem das Mädchen mit einem freudigen Sprunge in dem Coupé verschwunden war, blieb er noch einen Augenblick davor stehen, sich in Danksagungen erschöpfend, glücklich darüber, daß das liebe Kind sich unterhalten werde. Dann, nachdem er dem Wagen lange nachgeblickt, trat er in die Fabrik ein, plötzlich gealtert und niedergebeugt, als ob sein Kummer ihm auf die Schultern zurückgefallen wäre. So in sich versunken war er, daß er vergaß, sich von den beiden Männern zu verabschieden.
»Armer Mann!« sagte Mathieu, den der Anblick Sérafinens mit ihrem spöttischen, von roten Haaren
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