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Fruchtbarkeit - 1

Fruchtbarkeit - 1

Titel: Fruchtbarkeit - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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einem sehr hohen Gehalte aufzusteigen. Dreitausendsechshundert! Wie sollen wir unterdessen mit dreitausendsechshundert auskommen, um so mehr jetzt, da diese Wohnung unsre Ausgaben vermehrt?«
    Valérie ergriff das Wort in leidenschaftlicher Weise.
    »Wer nichts wagt, gewinnt nichts! Das wiederhole ich meinem Mann immer. Ich bin selbstverständlich auch für die Vorsicht, ich würde ihn niemals etwas tun lassen, was seine Zukunft gefährden könnte. Aber er kann doch schließlich nicht auf einem Posten verkommen, der seiner nicht würdig ist.«
    »Sie sind also entschlossen?« fragte Mathieu.
    »Mein Gott,« erwiderte Morange, »meine Frau hat alle Berechnungen gemacht, und wir sind entschlossen, ja, wenn nichts Unvorhergesehenes eintritt. Im übrigen wird eine Stelle in der Bank nicht vor Oktober frei. Nicht wahr, lieber Freund, Sie bewahren vollkommene Verschwiegenheit, denn wir wollen uns gegenwärtig nicht mit den Beauchêne verfeinden.«
    Er sah auf die Uhr, mit der Gewissenhaftigkeit des guten Angestellten bestrebt, nicht zu spät ins Bureau zu kommen, wohin er um halb zwei Uhr zurückgekehrt sein sollte. Und man drängte das Dienstmädchen, daß der Kaffee aufgetragen werde, man trank ihn ganz heiß, als ein Besuch ihn und seine Frau aus dem Gleichgewicht brachte und ihn alles vergessen ließ.
    »Oh!« rief Valerie, sich rasch erhebend, ganz rosig vor Stolz, »die Frau Baronin de Lowicz!«
    Sérafine, jetzt neunundzwanzig Jahre alt, war eine große, schöne, elegante Frau mit rotem Haar und einer üppigen Brust, die ganz Paris kannte. Auf ihren roten Lippen lag ein triumphierendes Lächeln, und in ihren großen, braunen, goldflimmernden Augen brannte eine unauslöschliche Flamme der Begierde.
    »Ich bitte Sie sehr, sich nicht stören zu lassen, meine lieben Freunde. Ihr Mädchen wollte mich durchaus in den Salon führen, aber ich habe darauf bestanden, hierher zu kommen, weil es ein wenig eilt. Ich komme, Ihre süße Reine abholen, um sie zu einer Matinee in den Zirkus zu führen.«
    Ein neuer Ausbruch des Entzückens folgte. Das Kind war sprachlos vor Freude, während die Mutter sich in begeisterten Worten des Dankes erschöpfte.
    »Oh, Frau Baronin, Sie überhäufen uns mit Liebenswürdigkeit, Sie verwöhnen sie, unsre Kleine! Sie ist nicht angekleidet, und Sie werden sich der Unannehmlichkeit unterziehen müssen, einen Augenblick zu warten. – Also komm schnell, ich helfe dir. Zehn Minuten, Frau Baronin, nur zehn Minuten!«
    Allein geblieben mit den zwei Männern, ging Sérafine, die eine Bewegung der Ueberraschung gemacht hatte, als sie Mathieu sah, auf diesen zu und streckte ihm als altem Freund herzlich die Hand entgegen.
    »Wie geht es Ihnen?« »Danke, recht gut.«
    Als sie sich neben ihn setzte, machte er eine unwillkürliche Bewegung, wie um seinen Sessel wegzurücken, und sah nichts weniger als erfreut von der Begegnung aus.
    Er hatte sie seinerzeit intim gekannt, als er in das Haus Beauchêne eingetreten war. Eine zügellose, perverse Genußsüchtige, ohne Gewissen und ohne Moral, kühn und furchtlos, nur nach Befriedigung ihrer Gelüste strebend. So stand sie inmitten der dröhnenden Tätigkeit der Fabrik, Tochter eines Vaters, der ein Held der Arbeit war, neben Alexandre, ihrem Bruder, einem rücksichtslosen Egoisten, und später Mariannen, ihrer Cousine, einem guten Geschöpfe voll Gesundheit und Vernunft. Von Kindheit auf war sie den schlimmsten Instinkten gefolgt. Man erzählte, daß sie sich mit fünfzehn Jahren einem Unbekannten hingegeben hatte. Dann kam die Geschichte ihrer Heirat mit dem Baron de Lowicz, ihrer Flucht mit diesem Glücksritter von der Schönheit eines Adonis. Ein Jahr später gebar sie ein totes Kind, eine Fehlgeburt, sagte man. Gierig nach Genüssen, im höchsten Grade geldgeizig, hatte sie, da sie anders ihren Vater nicht beerben konnte, sich von ihrem Manne getrennt, ihn davongejagt, und er war nach Berlin gegangen, um sich dort in einer Spelunke töten zu lassen. Seither genoß sie in ungehemmter Weise ihre Freiheit als junge Witwe. Sie war bei allen Vergnügungen, bei allen Festen, und man flüsterte sich ziemlich viel Geschichten über sie zu, von ihren Launen einer Nacht, ihrer schamlosen Energie, um den Mann sofort zu besitzen, der ihr gefiel, ihren Gelüsten nach freier Liebe, denen sie bis zu den tollsten Steigerungen des Genusses Genüge tat; aber da sie im ganzen doch bisher den Schein aufrechterhalten hatte und keinen ihrer Liebhaber offenkundig zur Schau

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