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Fruchtbarkeit - 1

Fruchtbarkeit - 1

Titel: Fruchtbarkeit - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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einer solchen Treppe steigt man so angenehm, daß man oben ist, ehe man es merkt.«
    Er ließ seinen Gast in das Vestibül wie in einen Tempel eintreten. Die Stuckmauern glänzten, die Stufen waren mit einem Teppich belegt, die Fenster bestanden aus bunten Glasscheiben. Im fünften Stock angelangt, öffnete er die Tür mit seinem Schlüssel, immerfort strahlenden Gesichtes wiederholend: »Sie werden sehen, Sie werden sehen!« Madame Valérie und Reine mußten nach ihnen gespäht haben, und sie eilten sogleich herbei. Valérie, jetzt zweiunddreißig Jahre alt, sah reizend und noch sehr jung aus: eine liebenswürdige Brünette, mit rundem und lächelndem Gesicht, welches von schönem Haar eingefaßt war, die Brust schon etwas zu stark, aber mit prachtvollen Schultern, auf welche Morange stolz war, wenn sie sich dekolletierte. Reine, zwölf Jahre alt, war das frappante Ebenbild ihrer Mutter, mit demselben lächelnden, vielleicht ein wenig länglicheren Gesichte, unter demselben schwarzen Haar.
    »Wie liebenswürdig von Ihnen, daß Sie unsrer Einladung gefolgt sind!« sagte Valérie lebhaft, indem sie Mathieu beide Hände schüttelte. »Und wie schade, daß Madame Froment nicht mit Ihnen kommen konnte! Reine, nimm dem Herrn doch den Hut ab.«
    Dann sogleich:
    »Sie sehen, wir haben ein sehr helles Vorzimmer. Wollen Sie vielleicht, während die Eier ins Wasser gelegt werden, die Wohnung besichtigen? Sie haben es dann hinter sich, und Sie werden wenigstens wissen, wo Sie essen.«
    Das alles war in so liebenswürdigem Tone gesagt, und Morange selbst lachte mit so viel gutmütiger Befriedigung, daß Mathieu sich gern zu dieser unschuldigen Schaustellung der Eitelkeit hergab. Sie betraten zuerst den Salon, welcher die Ecke des Hauses bildete, mit perlgrauer, goldgeblümter Tapete bekleidet und mit nach dem Dutzend erzeugten, weißlackierten Möbeln im Stile Ludwigs XIV. ausgestattet, in welche das Piano aus Palisander einen dicken schwarzen Fleck brachte. Sodann, nach dem Boulevard de Grenelle zu, das Zimmer Reines, blaßblau tapeziert, mit einem vollständigen Mädchenmeublement in PitchpineImitation. Das sehr kleine Schlafzimmer der Eltern befand sich am andern Ende der Wohnung, vom Salon durch das Speisezimmer getrennt, war gelb ausgeschlagen und mit einem Doppelbett, einem Spiegelschrank und einem Toilettetisch in Zypressenholz möbliert. Endlich im Speisezimmer triumphierte das klassische Alteichen, inmitten dessen eine sehr stark vergoldete Hängelampe, oberhalb des blendend weißen Gedeckes, wie ein Feuerstrahl erglänzte.
    »Das ist ja reizend!« wiederholte Mathieu, um liebenswürdig zu sein. »Das ist ja wunderhübsch!«
    Vater, Mutter und Tochter waren freudig erregt, konnten sich nicht genugtun, ihn herumzuführen, ihm zu erklären, ihn die Sachen berühren zu lassen. Aber was ihm besonders auffiel, das war ein gewisses schon Gesehenes, eine Anordnung des Salons, welche er kannte, eine Art, die verschiedenen Dinge zu verteilen, die ihn an etwas erinnerte. Und dann sah er, daß die Morange in ihrer tiefen Bewunderung, in ihrem geheimen Neide versucht hatten, die Beauchêne nach Möglichkeit zu kopieren. Sie, mit ihren beschränkten Mitteln, konnten sich nur einen imitierten Luxus verschaffen, und auch diesen nur unter beträchtlichen Opfern; aber trotzdem waren sie darauf stolz, bildeten sich ein, sich dieser höheren und heißbeneideten Klasse zu nähern, indem sie sie von weitem nachahmten.
    »Und endlich,« sagte Morange, das Fenster des Speisezimmers öffnend, »haben wir das da.«
    Ein Balkon lief der ganzen Wohnung entlang. Von dieser Höhe war die Aussicht wirklich sehr schön, mit der Seine in langem Lauf und den Hügeln von Passy jenseits der Dächer – dieselbe Aussicht, die man von den Fenstern des Beauchêneschen Wohnhauses genoß, nur erweitert.
    Valérie verfehlte auch nicht, ihn darauf aufmerksam zu machen.
    »Wie? Ist das nicht großartig? Das ist etwas andres als die vier Bäume, die man vom Kai aus sieht!«
    Das Dienstmädchen brachte die Eier, und man setzte sich zu Tische, während Morange triumphierend sagte, dies alles koste ihn nicht mehr als sechzehnhundert Franken jährlich. Es sei halb umsonst, sagte er, obgleich die Summe schwer auf dem Budget des Haushaltes lastete. Mathieu, der nunmehr begriff, daß man ihn hauptsächlich eingeladen hatte, um ihm die neue Wohnung zu zeigen, sah mit stiller Heiterkeit, wie glücklich diese guten Leute waren, vor ihm zu stolzieren. Selbst ohne jeden

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