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Fruchtbarkeit - 1

Fruchtbarkeit - 1

Titel: Fruchtbarkeit - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Armen, Schultern und der Brust eines kleinen Mädchens. Auf dem Polster lag inmitten ihrer farblosen Haare ihr mageres Gesicht mit den von Leiden und Kummer ausgehöhlten Wangen. Und mit geröteten Augen, mit bebenden Lippen schluchzte sie und schluchzte, von untröstlicher Verzweiflung überwältigt. »Was hat sie denn?« fragte Sérafine. »Ist die Operation nicht gut verlaufen? Hat sie Schmerzen?«
    »O ja, die Operation ist gut verlaufen,« erwiderte Mathieu. »Ein Meisterstück, heißt es, von so glänzender Ausführung, daß die Anwesenden gerne Beifall geklatscht hätten. Und sie sagte mir gerade vorhin, daß sie keinen Schmerz mehr gespürt hat.«
    »Warum weint sie also dermaßen?«
    Er schwieg einen Augenblick. Dann sagte er mit innigem Mitleid:
    »Man hat ihr eben gesagt, daß sie, wenn sie heiratet, nie ein Kind haben wird.«
    Verblüfft sah Sérafine dieses schwächliche Mädchen mit dem mageren Körper an.
    »Wie, deswegen? Das tut ihr leid?«
    Mathieu hatte sich gegen sie gewendet und sah ihr sehr ernst in die Augen, die ein ironisches Lächeln unterdrückte.
    »Ja, es scheint so. Es scheint, daß es so arme Mädchen gibt, die krank sind und keinen Sou besitzen, welchen der Gedanke, daß sie nie ein Kind haben werden, Schmerz bereitet.«
    Sérafine hatte sich dem Bett genähert. Sie wollte diesen Kummer besänftigen, sie ihren Tränen entreißen, um sie ein wenig auszufragen. Das junge Mädchen antwortete endlich, indem sie ihr abgehärmtes Gesicht aus ihren matten Haaren hob und sich bemühte, ihr Schluchzen zu unterdrücken.
    »Sie haben keine Schmerzen mehr, liebes Kind?«
    »Nein, Madame, gar keine.«
    »Aber Sie haben viel gelitten, während man Sie operierte?«
    »Nein, Madame, ich kann es nicht sagen, ich weiß es nicht.«
    Und sie fing wieder an zu schluchzen, noch heftiger, trostlos. Der Gedanke an die Operation erinnerte sie wieder daran, daß man ihr alles weggenommen hatte, daß sie niemals ein Kind haben würde, niemals, niemals! Sie wußte alles von Liebe und Mutterschaft, ein Kind der Gasse, die Jungfrau geblieben war, inmitten des Schmutzes, der sie umgab. Und aus dieser so in ihrer Blüte verstümmelten Jungfrau rief der Jammer der Mutter, erhob sich ein instinktiver Schrei wahnsinniger Verzweiflung, die sie nicht einmal in sich gefühlt hatte, und die nun so unaufhörlich ausströmte, ohne daß ihre Tränenflut sie sänftigen konnte.
    In diesem Augenblick ging eine freudige Bewegung durch den Saal. Gaude erschien, außerhalb seiner regelmäßigen Visiten, wie er dies manchmal tat, um seinem gehorsamen kleinen Volke von Kastrierten einen Beweis seiner väterlichen Fürsorge zu geben. Er war nur von einem der Spitalsärzte begleitet, einem kräftigen jungen Mann namens Sarraille, mit verschmitzten Augen in seinem ordinären Gesichte. Gaude selbst, ein großer, schöner, rotblonder Mann, sorgfältig rasiert, mit kräftigen Zügen, aus denen Lebensfreude und Rücksichtslosigkeit sprachen, strahlte geradezu von Klugheit und Kraftbewußtsein, durchschritt den Saal als souveräner Herrscher und sprach mit seinen Patienten in dem familiären Tone eines leutseligen Fürsten, der sich zu seinen Untertanen herabläßt. Und als er sah, daß eine seiner Frauen, die, welche er sein »kleines Schätzchen« nannte, so weinte, kam er herbei und fragte nach der Ursache ihres Kummers. Als er sie erfahren hatte, lächelte er mit liebenswürdiger Nachsicht.
    »Sie werden sich schon trösten, mein kleines Schätzchen. Das ist eine Sache, über die man sich sehr leicht tröstet. Sie werden das später einsehen.«
    Er hatte sich nicht verheiratet, lebte als verhärteter Hagestolz, als unfruchtbarer Mann, dessen höchste Philosophie die Menschenverachtung war. Je weniger ihrer zur Welt kamen, desto besser. Diese Rasse von Dummköpfen und Schuften würde sich immer noch genug vermehren. Es hätte keines zu starken Anstoßes bedurft, um ihn dazu zu bringen, bei jeder Frau, die er kastrierte, laut über die böse Saat zu triumphieren, die er wieder im Keime erstickt hatte. Und man erzählte sich von seinen Erfolgen als kluger Liebhaber unter seinen Patientinnen, welche, frei von jeder Gefahr, mit ihm, in großer Zahl wie man sagte, der Freuden genossen, besonders solange die Reizung des operativen Eingriffes und das Glücksgefühl über die Befreiung noch neu waren.
    Mainfroy stellte ihm nun, nachdem er ihn einen Augenblick beiseite genommen, die Baronin de Lowicz vor. Es gab Lächeln auf beiden Seiten, einen

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