Fruchtbarkeit - 1
Umgebung unter die Tyrannei ihrer Anständigkeit beugte. Und weder die Mutter noch der Mann wagten ein Wort hinzuzufügen, aus Furcht, einen Anfall bei ihr herbeizuführen, wenn sie sie ärgerten.
»Sagten Sie nicht, daß auch Ihre Tochter Cécile ins Spital gegangen ist?« fragte Sérafine, neuerdings interessiert.
»Ach ja, Madame! Sie hat das Glück gehabt, daß Monsieur Froment sie auf seine Landwirtschaft genommen hat, um im Hause zu helfen. Aber sie ist krank geworden, sie hat über einen Klumpen geklagt, der sie erstickt, und über einen Nagel, dessen Spitze ihr durch den Schädel geht. Plötzlich haben sich die Schmerzen auf die Weichen und die Schenkel geschlagen, so daß sie nicht ein Glied hat rühren können, ohne zu schreien. Nun heißt es, sie soll ebenso operiert werden wie Euphrasie.«
»Ein Mädchen von siebzehn Jahren, das ist bös!« sagte Bénard, der seine Suppe gegessen und sich erhoben hatte.
»Sie ist wohl nicht mehr Prinzessin als ich!« rief die Schwester scharf. »Und warum sollte sie’s nicht auch mitmachen, wenn es nötig ist? Wenn sie es nicht etwa vorzieht, zu sterben.«
»Nein, zwei von den meinigen, das ist zu viel!« murmelte die Moineaude, die in ihre betrübte Resignation zurückverfallen war.
Sérafine nahm dankend Abschied und gab jedem der Kinder ein Frankenstück, um sich Naschwerk zu kaufen, wofür sie von der ganzen Familie gesegnet wurde. Am nächsten Tage gab sie Mainfroy Auftrag, sich über Cécile zu erkundigen, entschlossen, keine Entscheidung zu treffen, ehe sie von dem Erfolge dieser Operation unterrichtet sei. Als er ihr bestätigt hatte, daß sich Cécile tatsächlich in der Klinik Gaudes befinde, wartete sie, bis sie operiert war, und erbat dann von ihrem lieben Doktor, daß er sie in den Krankensaal führe, wo das junge Mädchen ihrer Wiedergenesung entgegensah. Dort erschien sie denn auch eines Tages, von lebhafter Neugierde erfüllt.
In dem Spital herrschte Gaude über seine drei Frauenkrankensäle als allmächtiger und glorreicher Gebieter. Er war ein Kliniker ersten Ranges, ein ausgezeichneter Kopf, rücksichtslos und frohgemut, der über eine Hand von unvergleichlicher Festigkeit und Geschicklichkeit gebot. Er war von Stolz für seine Kunst erfüllt, war zwar vollkommen skrupellos, aber niedriger Berechnung und gemeiner Handlungsweise unfähig; und wenn er Geld machte, wenn er seine Zutreiber hatte, ein ganzes System hoher Provisionen, eine ganze Industrie der Ausbeutung reicher Patienten, so war er doch noch glücklicher über den lärmenden Ruhm, den ihm seine Kunst eintrug, als über das Geld. Er praktizierte im vollen Lichte der Öffentlichkeit, er hätte ganz Paris an seinen Operationstisch einladen mögen. Porträts, Stahlstiche und Zeichnungen hatten ihn populär gemacht, stellten ihn bei der Arbeit vor, die große weiße Schürze über der Brust, die Ärmel zurückgestreift, schön wie ein Gott, der schneidet und über das Leben gebietet. Er war einzig darin, einen Leib zu öffnen, hineinzusehen, und ihn wieder zuzunähen, alles mit seiner ruhigen Großartigkeit. Manchmal öffnete er noch einmal, um sich besser zu überzeugen. Dank der Antisepsis war eine Operation nur noch eine Spielerei, er entschloß sich dazu um ein Nichts, lediglich um des Vergnügens willen, etwas festzustellen. So viel Frauen zu ihm kamen, so viele wurden operiert. Wenn er sich in der Diagnose geirrt hatte, wenn er das Organ gesund fand, nahm er doch etwas weg, um nicht umsonst aufgeschnitten zu haben. Und von einem Ende Paris’ zum andern verbreitete sich der Ruf seiner Operationserfolge, feierte man diese wunderbare Meisterschaft, die er sich durch die Übung an Tausenden armer Frauen erworben hatte, welche seine Spitalsklinik passiert hatten – diese Meisterschaft, die aus ihm ein Idol machte, das man mit Gold überhäufte, den souveränen Kastrierer aller hirnverdrehten Millionärinnen.
Als Sérafine, von Mainfroy geführt, den großen weißen Saal betrat mit seinen weißen Betten, in denen die Frauen mit weißen Gesichtern lagen, fand sie zu ihrer Überraschung Mathieu am Lager Céciles, die vor einigen Tagen operiert worden war. Er hatte von der Operation gehört und war sie besuchen gekommen, von schmerzlicher Sympathie für ein so trauriges Geschick erfüllt. Und nun stand er schweigend an der Seite des Bettes, in welchem Cécile lag und heftig schluchzte. Mit ihren siebzehn Jahren war sie noch immer mager und schwächlich, nur in die Länge gewachsen, mit
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