Fruchtbarkeit - 1
Lebens nimmt. Hier eine Jungfrau, die man verstümmelt, bei der man die Mutterschaft in der Knospe vernichtet, ehe sie noch geblüht hat. Man schneidet, man schneidet, man schneidet immerfort und überall. Um der kleinsten Wehleidigkeit, um des geringsten vermuteten Fehlers willen schneidet man und wirft gelassen das gesunde Organ in den Kübel, wenn man sich getäuscht hat. Oft wird der Frau gar nicht gesagt, was mit ihr geschehen soll, noch dem Manne oder der Familie, und sie erfährt es erst, wenn sie den Krankheitsbericht liest. Basta! Das hat ja keine Bedeutung, eine Frau weniger, eine Gattin, eine Mutter weniger! … Und wissen Sie, wie weit wir gelangt sind? In den Spitälern kastriert man zwei bis dreitausend jährlich. Beinahe doppelt so viel entfallen auf die Privatsanatorien, wo es weder unbequeme Zeugen noch irgendeine Kontrolle gibt. Allein in Paris muß die Zahl der seit fünfzehn Jahren Operierten dreißig bis vierzigtausend betragen. Und man schätzt auf fünfmalhunderttausend, auf eine halbe Million, die Anzahl der Frauen, denen man die Blüte der Mütterlichkeit entrissen, zerstört hat wie schädliches Unkraut. Eine halbe Million, großer Gott, eine halbe Million unnützer, zu Monstren verstümmelter Frauen!«
Er hatte diese Ziffern in zornigem Aufwallen hinausgerufen und fuhr nun mit schmerzlicher Verachtung fort:
»Das schlimmste ist, daß es bei dem Ganzen nichts andres gibt als Lüge, Betrug und Diebstahl. Ihre Statistiken, die sie zu ihrem Ruhme veröffentlichen, sind erlogen. Sie betrügen die Patienten von morgen, sie bestehlen sie, denn sie erfüllen fast nie die Hoffnungen, die sie erwecken. Diese ganze Mode der Kastration ist nur auf eine große Täuschung gegründet, denn es handelt sich nicht bloß darum, zu wissen, ob die Operation selbst gelungen ist, man müßte die Operierten weiter im Auge behalten, müßte untersuchen, was aus ihnen wird, welches vom individuellen und sozialen Standpunkte die definitiven Resultate sind. Welch entsetzliche Täuschungen sind die Folge, in welche Hölle von Qualen, Unheil und Vernichtung geraten die armen Opfer! Man heilt ein Organ nicht, indem man seine Funktion vernichtet, man schafft Monstra, ich wiederhole es, und Monstra sind die Verneinung aller Gesundheit und alles Glückes. Und das Ergebnis ist nichts als ein ungeheurer Ausfall, zertretenes, vernichtetes Leben, gemordete Menschheit. In zehn Jahren hat das Messer der Kastrierer uns mehr Unheil zugefügt als die Kugeln der Preußen in dem Schreckensjahre.«
In Chantebled fuhren Mathieu und Marianne fort zu arbeiten, zu schaffen, zu zeugen. Und während der vier Jahre, die hingingen, waren sie abermals siegreich in dem ewigen Kampfe des Lebens gegen den Tod, durch das fortgesetzte Wachstum der Familie und der fruchtbaren Erde, das der Inhalt ihres Daseins war, ihre Freude und ihre Kraft. Die Begierde fuhr in Flammenstürmen hin, die göttliche Begierde machte sie fruchtbar, gab ihnen Kraft zu lieben, gut zu sein, gesund zu sein; und ihre Energie tat das übrige, ihre Tatfreudigkeit, die tapfere Beharrlichkeit in der nützlichen Arbeit, die die Welt aufbaut und in Ordnung hält. Aber während der ersten zwei Jahre ward ihnen der Sieg nicht ohne schweren Kampf. Es folgten einander zwei unheilvolle Winter mit Schnee und Eis; dann, als die Märzstürme wehten, kamen Hagelschläge, Orkane warfen die Halme nieder. Wie Lepailleur es ihnen mit dem Lächeln eines ohnmächtigen neidischen Menschen gedroht hatte, schien es, als ob die Erde zur Stiefmutter werden wollte, undankbar für ihre Arbeit, gefühllos für ihre Verluste. In diesen zwei Jahren kamen sie mit heiler Haut nur davon dank den andern zwanzig Hektar, die sie von Séguin im Westen des Plateaus erworben hatten, ein großer Zuwachs fruchtbarer Erde, die den Sümpfen abgewonnen wurde, und deren erste Ernte trotz der Hagelschläge eine unerhört reiche war. Indem er sich vergrößerte, wurde der Besitz auch kräftiger und imstande, widrige Zufälle zu ertragen. Sie hatten auch große Familiensorgen, die fünf schon vorhandenen Kinder verursachten ihnen viel Unruhe und viel Plage. Gleichwie um die Erde gab es auch hier fortwährend Kämpfe, Kummer, Angst, tägliche Errettungen. Gervais, der Jüngste, wäre beinahe an einem bösartigen Fieber gestorben. Die kleine Rose hatte ihnen ebenfalls einen furchtbaren Schrecken verursacht, da sie einmal von einem Baume fiel, ohne übrigens einen schwereren Schaden als eine Verrenkung davonzutragen. Aber
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