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Fruchtbarkeit - 1

Fruchtbarkeit - 1

Titel: Fruchtbarkeit - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Konsultation? Und er entfernte sich bebend, ohne es zu wagen, seinen Argwohn auszudenken. Eine schreckliche Aehnlichkeit fiel ihm aufs Herz, dieselbe Widerlichkeit hier, Passage Tivoli, bei Sarraille, wie dort, Rue du Rocher, bei der Rouche, derselbe übelriechende Torweg, derselbe feuchtklebrige Hof, dieselbe Höhle des Verbrechens und der Schande. Ach, wie er aufatmete, unter der heißen Augustsonne in den breiten Pariser Straßen seiner Arbeit, seinem Lebenswerke nachgehen zu können!
    Es war eine Geschichte der notwendigen, der unausweichlichen Konsequenzen. Reine, in der Sucht nach Geld, in Vergnügungsgier erzogen, war für ein Leben des Luxus aufgewachsen, dessen fortwährende Verzögerung das hübsche Mädchen mit Heißhunger erfüllte. Solange ihre Mutter lebte, hatte sie sie von nichts anderm träumen hören, als von Toiletten, Wagen, unaufhörlichen Genüssen; und dann, mit ihrem Vater alleingeblieben, hatte sie fortgefahren, die gleiche Sehnsucht zu nähren. Das Schlimmste war dann noch, daß sie nicht mehr überwacht wurde, ganze Tage allein, bloß in Gesellschaft eines Dienstmädchens blieb, der Musik und des Lesens bald überdrüssig wurde, ihre Zeit auf dem Balkon verbrachte, um auszuschauen, ob der erträumte Prinz noch immer nicht mit Gold beladen komme, um sie aus ihrer Mittelmäßigkeit zu erlösen, sie dem königlichen Leben unaufhörlichen Vergnügens zuzuführen, das ihre Eltern ihr fest versprochen hatten. Nichts andres existierte für sie, sie wartete ungeduldig, daß der Traum in Erfüllung gehe, vorzeitig körperlich reif geworden, von einer heißen Sinnlichkeit erregt, deren Verlangen durch die langen Stunden trägen Harrens noch verschärft wurde. Nur Sérafine holte sie manchmal ab, fuhr mit ihr durch die Alleen des Bois de Boulogne, besuchte mit ihr die jungen Mädchen gestatteten Schaustellungen, anfangs lediglich belustigt von dem Entzücken dieses Kindes, in welchem sie die Genußgier sich regen fühlte, von der sie selbst durchglüht war. Dann geschah es, als das Kind heranwuchs und zum Weib wurde, daß die Baronin, ohne gerade die böse Absicht zu haben, sie zu verderben, sie zu weniger harmlosen Unterhaltungen, zu weniger unschuldigen Darstellungen führte, wodurch sie schließlich ganz wissend wurde. Dann ging es rasch abwärts, es entwickelte sich eine immer engere Intimität zwischen den beiden, die sie ihren Altersunterschied vergessen ließ, die zu so rückhaltloser Vertraulichkeit führte, daß sie einander nichts mehr verbargen. Beide der Anbetung des Genusses hingegeben, vereinigten sie sich in demselben leidenschaftlichen Kultus. Von allen Skrupeln befreit, gab die ältere der jüngeren nunmehr nur die Ratschläge ihrer eignen Erfahrung: den Skandal zu fliehen, ihre Stellung in der Welt unversehrt zu erhalten, niemals ihr Leben einzubekennen, und besonders das Kind zu vermeiden, welches das schlimmste der Bekenntnisse, das unheilbare Unglück ist. Und länger als ein Jahr hindurch kam nun das junge Mädchen häufig zwischen fünf und sieben Uhr zu ihrer Freundin zum Tee in das diskrete Appartement in der Rue de Marignan, wo sie mit liebenswürdigen Herren verkehrte, ohne daß der so gefürchtete Unfall sich ereignete, so geschickt war sie schon darin, nur soviel ihrer selbst zu geben, als sie für den Genuß einer Stunde geben mußte, und den Folgen vorzubeugen.
    Aber das Unvermeidliche geschah. Eines Tages hatte Reine die Ueberzeugung, daß sie schwanger sei. Wie hatte das Unglück geschehen können? Sie selbst hätte es nicht sagen können, sie begriff die augenblickliche Selbstvergessenheit nicht, erinnerte sich in der schreckensvollen Betäubung des nächsten Tages an nichts mehr. Sie sah ihren Vater, ihren Vater, der sie vergötterte, zerschmettert unter dieser schrecklichen Schande, schluchzend, sterbend. Keine Ehrenrettung war möglich, der Mann hatte Frau und Kinder, ein hoher Beamter, der in diskreten Häusern verkehrte; und im übrigen stammen solche Schwangerschaften, unter solchen Verhältnissen, von niemand. Als Reine weinend, verzweifelt, sich ihrer Freundin Sérafine entdeckte, hätte diese im ersten Aufbrausen einer jähzornigen Königin, die ein alberner Zufall in ihrem Vergnügen stört, sie beinahe geschlagen. Dann aber gab ihr die drohende Gefahr, selbst mitkompromittiert zu werden, ihre so lange in der Welt bewahrte Scheinstellung vernichtet zu sehen, ihre ganze ruhige Kühnheit wieder. Sie küßte und tröstete das verzweifelte Mädchen, schwor ihr

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