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Fruchtbarkeit - 1

Fruchtbarkeit - 1

Titel: Fruchtbarkeit - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Tische gegenüber dem Fenster errichtet war. Die schönsten Bilder waren hier in symmetrischer Weise angeordnet und umgaben zwei, die den Mittelpunkt bildeten: das letzte Bild der Tochter und eines von der Mutter, welches sie im selben Alter zeigte, Seite an Seite, schön und lächelnd, wie Zwillingsschwestern.
    Tränen waren ins Moranges Augen aufgestiegen, und er stammelte voll zärtlicher Begeisterung: »Wie? Was sagen Sie? Hat mir meine kleine Reine nicht meine teure, so beweinte Valérie wieder ersetzt? Ich versichere Ihnen, daß es dieselbe Frau ist. Sie sehen selbst, daß ich nicht träume, daß die eine in der andern auferstanden ist, mit denselben Augen, demselben Munde, denselben Haaren. Und wie schön ist sie! … Ich verweile hier oft stundenlang, das ist mein Hausaltar.«
    Mathieu, selbst zu Tränen gerührt von solcher Anbetung, fühlte eine eisige Kälte sein Herz beschleichen, angesichts dieser zwei Bilder, dieser zwei einander so ähnlichen Frauen, deren eine tot war, während die andre dort irgendwo an einem unbekannten Orte sich befand, an dessen Unheimlichkeit er seit vorgestern unaufhörlich denken mußte. Aber das Dienstmädchen kündigte nun an, daß der Hummer und die Mayonnaise aufgetragen seien, und Morange führte ihn frohgemut in das Speisezimmer, dessen Fenster er weit offen ließ, damit sie über den Balkon hinweg der schönen Aussicht sich erfreuen könnten. Es waren nur zwei Gedecke aufgelegt. Aber an dem gewohnten Platze Reines befand sich ein großes Bouquet weißer Rosen.
    »Setzen Sie sich hierher an ihre Rechte,« sagte er mit seinem guten Lächeln. »Wir sind dennoch drei.«
    So blieb er fröhlich bis zum Dessert. Nach dem Hummer brachte das Mädchen Kotelettes, dann Artischoken. Und er, der sonst wenig sprach, zeigte sich außerordentlich mitteilsam, als wollte er seinem Gaste beweisen, daß er ein kluger, scharfsichtiger und dabei vorsichtiger Mann sei, den das Schicksal schließlich doch einmal entschädigen werde. Er griff auf die einstigen Theorien seiner Frau zurück, erklärte, daß er sehr recht gehabt habe, sich nicht mit Kindern zu beladen, daß sein Glück darin bestehe, nur für seine kleine Reine sorgen zu können. Wenn er sein Leben wieder beginnen sollte, würde er sich wieder nur sie wünschen. Ohne den schrecklichen Verlust, der ihn so lange zu Boden gedrückt habe, wäre er in die Nationalkreditbank eingetreten und besäße heute vielleicht Millionen. Aber es sei nichts verloren, weil er eben nur eine Tochter habe; und er erzählte seine Träume, von der Mitgift, die er ihr aufsammle, dem ihrer würdigen Gatten, den er ihr verschaffen wolle, von der vornehmen gesellschaftlichen Stellung, die sie dann einnehmen sollte, und der höheren Sphäre, in die endlich auch er mit ihr aufsteigen würde, wenn sie es nicht etwa vorzöge, nicht zu heiraten, was das Paradies für beide wäre, denn der heimliche Gedanke, sie für sich zu behalten, hatte ihn mit großen Plänen erfüllt, die er nun verriet. Er folgte ihrem Willen in allen Dingen, er sah sie ehrgeizig wie ihre Mutter, heißhungrig nach einem luxuriösen Leben, nach Annehmlichkeiten und Genüssen, und da hatte er den Entschluß gefaßt, an der Börse zu spielen, einen Hauptstreich auszuführen, dann sich zurückzuziehen, sich ein Landhaus zu kaufen und einen Wagen zu halten. Dümmeren Leuten als er war es gelungen. Er wartete nur eine gute Gelegenheit ab.
    »Sie mögen sagen, was Sie wollen, lieber Freund, es ist doch nichts besser als das einzige Kind, um alle Vorteile auf seiner Seite zu haben. Ein einziges teures Wesen im Herzen, und die Arme frei, um ihm ein Vermögen zu erwerben!«
    Als das Mädchen den Kaffee brachte, rief er freudig aus: »Ich habe ganz vergessen, Ihnen zu sagen, daß ich von Reine bereits einen Brief bekommen habe, einen so zärtlichen, so glücklichen Brief, worin sie mir alle möglichen lustigen Einzelheiten über ihre Ankunft gibt, über einen großen Spaziergang, den sie gleich am ersten Tag unternommen hat… Heute früh habe ich ihn erhalten.«
    Während er in seiner Tasche suchte, fühlte Mathieu abermals den Eishauch von jenem unbekannten Orte über sich hinwehen. Seit vorgestern trachtete er, sich zu beruhigen, der Begegnung in der Passage Tivoli eine möglichst harmlose Deutung zu geben. Dieses fröhliche Mahl mit dem wackeren Manne trug vollends dazu bei, seine Befürchtungen einschlummern zu lassen. Aber diese Lüge, dieser zweifellos in Paris geschriebene Brief, erweckte mit

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