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Fruchtbarkeit - 1

Fruchtbarkeit - 1

Titel: Fruchtbarkeit - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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diese zweideutige Klinik in der Passage Tivoli eröffnet, wo er von den Brosamen andrer vegetierte, von unangenehmen Fällen, die man ihm zu überlassen für gut fand. Das schlimmste war, daß ein wütender Erfolghunger an ihm fraß, daß er sich nicht in sein Schicksal finden konnte, immer gierig auf irgendeine Gelegenheit lauerte, trotz allem davon träumte, die Welt und ihre Genüsse zu erobern, bereit, sie als waghalsiger Spieler auch mit seinem Leben zu bezahlen. So fand also Sérafine in ihm gerade den Mann, den sie brauchte. Sie fand es angezeigt, ihm eine Geschichte zu erzählen, da sie es für unnötig hielt, sein Gewissen auf eine zu harte Probe zu stellen, indem sie ihn zum offnen, eingestandenen Mitschuldigen machte. Reine war ihre Nichte, die von ihrer Familie aus der Provinz zu ihr geschickt worden war, damit sie einen Arzt über ihr seltsames Leiden konsultiere, schreckliche Schmerzen im Unterleib, obgleich sie sich allem Anscheine nach einer vortrefflichen Gesundheit erfreue. Sie verabredete sich mit ihm, ließ alles übrige erraten, bot tausend Franken Honorar, so daß Sarraille nach der ersten Untersuchung auf eine Neubildung diagnostizierte. Es fanden weitere Besuche statt. Reine tat, als habe sie immer stärkere Schmerzen, schrie bei der leisesten Berührung laut auf. Endlich wurde entschieden, daß als einziges radikales Heilmittel die Operation bleibe. Sie einigten sich, daß die Operation in der Klinik des Doktors selbst stattfinden solle, wo die Rekonvaleszenz sodann zwei bis drei Wochen in Anspruch nehmen würde. Sérafine hatte hierauf die Fabel von den drei Wochen der Erholung, des Lebens in freier Natur auf einem Schlosse erfunden, wohin sie ihre junge Freundin mitnehmen wolle, und an dem Tage, wo Mathieu ihnen begegnete, als sie von Sarraille kamen, hatten sie alles für den nächsten Tag festgesetzt. An diesem Abend schrieb Reine bei der Baronin, die sie einstweilen beherbergte, an ihren Vater einen sehr zärtlichen Brief voll fröhlicher Einzelheiten, die durch ihre gefällige Hand dort in dem fernen Dorf nächst dem Schlosse zur Post gegeben werden sollte.
    Als Mathieu am zweitnächsten Tage, seinem Versprechen getreu, Morange um Mittag in seiner Wohnung auf dem Boulevard de Grenelle aufsuchte, fand er ihn in kindlichheiterer Stimmung.
    »Ah, Sie sind pünktlich, aber Sie werden ein wenig warten müssen, denn das Mädchen hat sich mit der Mayonnaise verspätet. Kommen Sie einstweilen in den Salon.«
    Es war noch immer derselbe Salon, mit seiner perlgrauen, goldgeblumten Tapete, seinen weißlackierten Möbeln im Stile Ludwig XIV., und seinem Piano aus Palisander, der Salon, in welchem ihn einst, vor vielen Jahren, Valérie empfangen hatte. Die Einrichtungsstücke waren verstaubt, man fühlte die Vernachlässigung eines unbenutzten Raumes, den fast nie jemand betrat.
    »Die Wohnung ist freilich für uns zwei zu groß,« erklärte Morange, »aber es hätte mir das Herz bluten gemacht, wenn ich sie hätte verlassen müssen. Dann haben wir hier auch schon so unsre kleinen Gewohnheiten. Reine wohnt in ihrem Schlafzimmer. Sehen Sie es einmal an, wie hübsch es ist, wie geschmackvoll sie alles angeordnet hat. Ich werde Ihnen auch ein Paar Vasen zeigen, die ich ihr geschenkt habe.«
    Das blaßblaue Zimmer mit der Einrichtung in PitchpineImitation hatte sich gleichfalls nicht verändert. Die zwei Vasen aus emailliertem, geschliffenem Glas waren sehr schön. Außerdem gab es da eine außerordentliche Menge hübscher Dinge, Geschenke aller Art, Überraschungen, mit denen der Vater die Tochter überhäuft hatte. Er ging auf den Fußspitzen wie in einem Heiligtume, sprach leise mit dem frommen Lächeln eines Gläubigen der einen Profanen in den Tempel der Gottheit einführt. Dann führte er ihn mit geheimnisvoller Miene an das andre Ende der Wohnung, in sein eignes Zimmer, wo er seit dem Tode seiner Frau nichts geändert hatte, dieselben Zypressenholzmöbel, dieselben gelben Tapeten gleich Reliquien bewahrte. Nur waren die Wände, die Tische, der Kaminsims bedeckt mit Photographien, eine überreiche Sammlung aller Porträts, die er von der Mutter hatte zusammentragen können, vermehrt durch die zahllosen Bilder der Tochter, die von Kindheit auf in Abständen von sechs zu sechs Monaten von ihr aufgenommen worden waren.
    »Kommen Sie, ich habe Ihnen ja versprochen. Ihnen das letzte Bild Reines zu zeigen. Da sehen Sie es.«
    Und er führte ihn vor eine Art kleiner Kapelle, welche pietätvoll auf einem

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