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Fruchtbarkeit - 1

Fruchtbarkeit - 1

Titel: Fruchtbarkeit - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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erleben … Und wenn Sie wüßten, wie glücklich wir in unserm kleinen Neste sind! Freilich lasse ich sie den ganzen Tag allein, aber Sie müßten unsre Freude sehen, wenn wir uns des Abends wieder haben! Sie ist noch so unschuldig, sie hat noch nicht nötig, sich zu verheiraten, da die Vorbereitungen noch nicht getroffen sind, und da wir keine Eile haben.«
    Er lächelte wieder und fuhr fort:
    »Kommen Sie doch zu mir zum Essen! Wir werden von ihr plaudern, ich werde Ihnen meine kleinen Geheimnisse anvertrauen, was ich erträume und was ich plane; dann werde ich Ihnen ihre letzte Photographie zeigen, die noch nicht acht Tage alt ist. Es wäre so hübsch von Ihnen, wenn Sie mir Gesellschaft leisteten, während sie nicht da ist, und wir als Junggesellen miteinander essen würden! Wir werden ein Bukett an ihren Platz stellen. Wie? Schlagen Sie ein, und holen Sie mich Mittag ab.«
    Mathieu konnte ihm diese Freude nicht machen.
    »Nein, es ist leider unmöglich, ich habe heute zuviel Besorgungen. Aber übermorgen muß ich wieder nach Paris kommen. Wenn dieser Tag Ihnen genehm ist, verspreche ich Ihnen, mit Ihnen zu essen.«
    Morange war einverstanden, sie schüttelten sich wohlgemut die Hände, Mathieu ging seinen Geschäften nach und aß schließlich in einem kleinen Restaurant in der Avenue de Clichy zu Mittag, in dessen Nähe eine Besorgung ihn lange aufgehalten hatte. Als er dann die Rue d’Amsterdam hinabging, um einen Bankier in der Rue Caumartin aufzusuchen, wollte er, an der Kreuzung der Rue de Londres angelangt, den Weg abkürzen, indem er durch die Passage Tivoli ging, die auf die Rue SaintLazare in zwei schmalen Torbogen mündet, welche gleichsam den Wagen die Durchfahrt verwehren. Die Passage ist daher auch wenig belebt, wird fast nur von Fußgängern benutzt, von den Bewohnern der Nachbarschaft oder von erfahrenen Parisern, die jede Seitengasse der großen Stadt kennen; er selbst erinnerte sich nicht, seit Jahren hier durchgekommen zu sein. Neugierig blickte er auf diesen vergessenen Winkel des alten Paris, auf das feuchte Gäßchen, das selbst an sonnenhellen Tagen düster bleibt, auf die armseligen Häuser mit den schimmeligen Fronten, auf die engen, finsteren Läden, auf all diesen anwidernden, altaufgehäuften Schmutz, als eine unerwartete Begegnung ihn in starres Staunen versetzte. Verwundert, hier, mit den Rädern im Rinnstein, einen höchst eleganten, mit einem prächtigen Pferde bespannten Wagen warten zu finden, sah er plötzlich aus einem der schmutzigsten Häuser zwei Frauen heraustreten, rasch einsteigen und verschwinden; und er erkannte trotz der Schleier Sérafine, begleitet von Reine. Einen Augenblick war er ungewiß in bezug auf Sérafine, die er seit Monaten nicht gesehen hatte, so schien sie ihm seltsam, verändert; aber er konnte sich nicht in bezug auf Reine täuschen, die ihr liebenswürdiges, sanftes, heiteres Gesichtchen ihm zugewendet hatte, ohne ihn zu bemerken. Der Wagen verlor sich bereits in der Flut von Gefährten, welche die Rue SaintLazare erfüllten, als er noch immer erstarrt, betäubt auf demselben Platze stand. Wie, dieses schöne Mädchen, die ihr Vater auf einem Schlosse bei Orléans glaubte, hatte also Paris nicht verlassen? Und hierher, in diesen schmutzigen Winkel führte die Baronin sie verstohlener Weise, anstatt mit ihr unter den hundertjährigen Bäumen irgendeines großen Parkes spazierenzugehen? Sein Herz hatte sich schrecklich zusammengezogen unter der Ahnung irgendeines entsetzlichen Geheimnisses. Er betrachtete das zweistöckige, verdächtig aussehende Haus, das den Schmutz der Armut, den Stempel der Gemeinheit zeigte. Ohne Zweifel ein Haus für Zusammenkünfte, aber welch schändlicher Art, und für welche unnennbare Ausschweifungen! Dann wurde das Verlangen, mehr zu erfahren, zu mächtig in ihm, er wagte sich in den dunkeln und übelriechenden Torweg und gelangte in einen grünlichen Hof gleich dem Boden einer Zisterne, ohne einen Portier getroffen zu haben, an den er sich hätte wenden können. Keine Seele, kein Laut. Ratlos kehrte er um, als der Anblick eines Messingschildes an einer Tür mit der Inschrift: »Klinik von Doktor Sarraille« ihn wie ein erhellender Blitzstrahl durchfuhr. Er erinnerte sich des Assistenten Gaudes, mit dem ordinären, stierartigen Gesichte; er erinnerte sich besonders einiger Worte des Doktors Boutan, der den Mann kannte. Was war’s also? Eine Krankheit vielleicht, die man verbarg, eine im tiefsten Geheimnis veranstaltete

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