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Fruchtbarkeit - 1

Fruchtbarkeit - 1

Titel: Fruchtbarkeit - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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einem Schlage wieder sein angstvolles Mitleid mit dem Vater, der so liebevoll, so glücklich war, während dort, an jenem Orte, das Schicksal der Tochter sich erfüllte.
    »Das liebe Kind!« fuhr Morange fort, den Brief überlesend, »sie ist mit Liebenswürdigkeiten überschüttet worden, sie hat ein schönes rotes Zimmer bekommen, mit einem großen Bett, in dem sie sich verliert. Das Bettzeug ist gestickt, denken Sie nur, und Parfümfläschchen auf dem Waschtisch, und Teppiche überall. Oh, es sind sehr reiche Leute, eine Familie von bestem Adel, wie mir die Baronin erzählt … Weiter. Die Baronin hat das liebe Kind gleich in den Park geführt, wo sie zwei Stunden inmitten der herrlichsten Blumen spazierengegangen sind. Es gibt da Alleen mit hundertjährigen Bäumen, so hoch wie Kirchengiebel, und große Bassins mit Schwänen, und Glashäuser mit seltenen, wunderbar duftenden Pflanzen … Wissen Sie, ich bin nicht eitel, aber es macht einem doch Vergnügen, seine Tochter als Gast in einem solchen Schlosse zu wissen. Sie soll sich nur unterhalten, mein Liebling, und soll recht glücklich sein!«
    Er vergaß darüber, seinen Kaffee zu trinken. Plötzlich öffnete sich die Tür, und eine außerordentliche, so unerwartete Erscheinung bot sich ihren Blicken, daß ein langes Stillschweigen entstand. Die Baronin war eingetreten.
    Morange betrachtete sie erstarrt und verständnislos.
    »Wie? Sie sind es? Reine ist da, Sie bringen sie zurück?«
    Mechanisch hatte er sich erhoben, um ins Vorzimmer hinauszusehen, in dem Glauben, daß seine Tochter draußen zurückgeblieben sei, um ihren Hut abzulegen. Er kam zurück und wiederholte: »Sie bringen Reine zurück? Wo ist sie?«
    Sérafine, sehr blaß, beeilte sich nicht zu antworten; sie sah jedoch sehr entschlossen aus, ihre hohe Gestalt stolz aufgerichtet, bereit, den ärgsten Gefahren die Stirn zu bieten und sie zu überwinden. Sie hatte Mathieu eine eiskalte, aber nicht zitternde Hand gereicht und schien glücklich über seine Anwesenheit. Endlich sprach sie, sehr ruhig:
    »Ja, ich bringe sie Ihnen zurück. Sie ist von einem plötzlichen Unwohlsein befallen worden, und ich habe es für besser gehalten, sie zurückzubringen. Sie ist bei mir.«
    »Ah,«,sagte er nur, betäubt. »Sie ist ein wenig ermüdet von der Reise, sie erwartet Sie.«
    Er fuhr fort, sie mit weitoffenen Augen anzustarren, von dieser Erzählung verwirrt, ohne anscheinend ihre Unwahrscheinlichkeit zu bemerken, ohne selbst nur daran zu denken, zu fragen, warum sie seine Tochter, wenn sie leidend sei, nicht gleich direkt nach Hause geführt habe.
    »Sie kommen also, mich abzuholen?«
    »Jawohl, beeilen Sie sich.«
    »Gut, lassen Sie mich meinen Hut nehmen und dem Mädchen Auftrag geben, das Zimmer herzurichten.«
    Und er ging hinaus, noch nicht sehr beunruhigt, noch so verdutzt, daß er einzig darauf bedacht war, seinen Hut und seine Handschuhe zu holen, um nicht auf sich warten zu lassen.
    Sowie er fort war, reckte Sérafine, die ihm mit den Augen gefolgt war, wieder ihre stolze Brust heraus, wie eine Kriegerin, die vor dem harten Kampfe, den sie voraussieht, tief Atem holt. In ihrem bleichen Gesichte, unter ihren flammend roten Haaren brannten ihre goldflimmernden Augen in düsterer Glut. Sie begegneten denen Mathieus; beide betrachteten einander schweigend, sie mit wilder Entschlossenheit, er bleicher als sie, unter einem furchtbaren Argwohn erbebend.
    »Was ist’s?« fragte er endlich.
    »Ein schreckliches Unglück, mein Freund! Sie ist tot!«
    Er erstickte einen Schrei, er faltete die Hände mit einer Gebärde entsetzten Mitleids.
    »Tot! Tot, dort bei Sarraille, in jener Höhle!«
    Sie erzitterte nun ihrerseits, schrie beinahe auf vor Ueberraschung und Furcht.
    »Sie wissen das? Wer hat Ihnen das gesagt, wer hat uns verraten?«
    Aber sogleich faßte sie sich, richtete sich wieder in die Höhe, gestand alles mit leiser, hastiger Stimme:
    »Sie werden sehen, ob ich feige bin. Ich verstecke mich nicht, da ich selbst gekommen bin, den Vater abzuholen … Es ist wahr, als sie schwanger war, habe ich den Plan der Operation gefaßt, um sie von diesem Kinde und von allen andern zu befreien. Warum hätte es bei ihr nicht gelingen sollen, da ich selbst so gut dabei weggekommen bin? Es bedurfte des unerwartetsten, des sinnlosesten unglücklichen Zufalls, daß die Feder einer Pinzette in der Nacht nachgab, während die Wärterin schlief, so daß man das arme Kind heute früh in einem Meer von Blut tot fand. Sie

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