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Fruchtbarkeit - 1

Fruchtbarkeit - 1

Titel: Fruchtbarkeit - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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war so lebensvoll, so schön! Ich hatte sie sehr lieb, sehr lieb…«
    Ihre Stimme brach, sie mußte innehalten, während schwere Tränen den Goldglanz ihrer Augen verlöschten, der sonst darin flimmerte. Nie hatte Mathieu sie so weinen sehen, ihre Tränen überwältigten ihn vollends, den die nun ganz enthüllte Wahrheit mit namenlosem Entsetzen erfüllte.
    »Ich habe sie eben noch geküßt,« fuhr sie fort, »so weiß, so kalt lag sie da, und dann bin ich direkt hierhergefahren. Es muß ein Ende gemacht werden, dieser arme Mann muß alles erfahren, und ich weiß, daß nur ich es ihm sagen kann. Oh, ich nehme es auf mich; aber da Sie hier sind, kommen Sie doch mit. Er hat Sie lieb, wir werden zwei nicht zu viel sein. Um so mehr, als wir ihn im Wagen auf den schrecklichen Schlag werden vorbereiten müssen.«
    Sie schwieg. Morange kam herein. Er hatte offenbar ihr Flüstern gehört, und er sah sie an, von Mißtrauen ergriffen. Dann hatte er auch wohl Zeit gehabt, sich zu fassen, ein wenig zu überlegen, während er seine Handschuhe suchte. Seine Stimme zitterte nun von aufsteigender Angst.
    »Sagen Sie,« fragte er, »ihr Unwohlsein ist doch wohl nicht ernst?«
    »O nein,« erwiderte Sérafine, die es noch nicht wagte, ihm den ersten Schlag zu versetzen.
    »Dann hätten Sie sie doch vom Bahnhof direkt hierher führen sollen. Das wäre einfacher gewesen.«
    »Gewiß. Aber sie hat nicht gewollt, aus Furcht, Sie zu erschrecken. Sie sind bereit, eilen wir!«
    Morange ging schweren Schrittes hinab, ohne ein weiteres Wort. Sein Hirn hatte nun zu arbeiten angefangen, warf allerlei Einwände auf. Da er vormittags in seinem Bureau war, so hätte Reine sich doch ganz gut nach Hause führen lassen und sich selbst zu Bette begeben können, ohne fürchten zu müssen, ihn zu erschrecken. Seine Unruhe wuchs dermaßen, daß er nicht mehr wagte, eine Frage zu stellen, von dumpfem Grauen vor dem Unbekannten erfaßt, das sich wie ein Abgrund vor ihm öffnete. Als er jedoch sah, daß Mathieu ebenfalls einstieg, wurde er noch bleicher und konnte sich nicht enthalten auszurufen: »Wie? Sie kommen auch mit? Warum denn?«
    »Nein, nein, er kommt nicht mit,« beeilte sich die Baronin zu sagen. »Wir werden ihn unterwegs absetzen, er hat in dieser Richtung Geschäfte.«
    Indessen, die Zeit drängte, Morange wurde immer unruhiger, immer erregter, immer mehr von der Ahnung der schrecklichen Wahrheit erfaßt. Der Wagen rollte rasch dahin, war bereits nahe daran, die Brücke zu passieren, und Sérafine dachte daran, daß er alsbald bemerken werde, daß sie durch die Avenue d’Antin weiterfuhren, ohne bei ihr anzuhalten, sie mußte sich also entschließen, mit der Erzählung ihrer Geschichte zu beginnen, sie kam auf die Krankheit Reines zurück, deutete allgemach an, daß das liebe Kind vermutlich ein ernstes Leiden habe, welches wahrscheinlich eine Operation nötig machen werde. Er hörte ihr zu, sah sie an, mit qualvollem Gesichtsausdrucke, mit stieren Augen. Dann, als der Wagen die ChampsElysées passierte, sah er auf einmal, daß man ihn nicht zu der Baronin brachte, und ein schreckliches Schluchzen zerriß ihm angesichts dieser plötzlichen Klarheit, der Gewißheit, daß seine Tochter schon operiert sei, da man ihm so von einer Operation sprach. Mathieu hatte seine zuckenden Hände ergriffen und weinte mit ihm, wählend Sérafine mit dem Geständnis begann, ihm sagte, daß die Operation in der Tat schon vorüber sei, und wenn man sie ihm verborgen, diesen Landaufenthalt erfunden habe, so sei es nur geschehen, um ihm jede qualvolle Unruhe zu ersparen. Sie wagte vorzugeben, daß nunmehr alles sicherlich sehr gut gehen werde, wollte ihm noch eine Gnadenfrist lassen, noch einige Radumdrehungen abwarten, ehe sie ihn mit dem letzten Schlage zerschmetterte. Aber er beruhigte sich nicht, blickte sinnlos vor Angst von einem Wagenfenster zum andern, mit dem Gehaben eines eingesperrten wilden Tieres, um zu sehen, welchen Weg, nach welchem unbekannten, entsetzlichen Orte man ihn so führte. Plötzlich, als der Wagen, nachdem er die Rue La Boetie und die Rue de la Pepinière durchfahren hatte, vor dem Bahnhof SaintLazare herauskam, erkannte er den steilen Abhang, die schwarzen Häuser der Rue du Rocher, die sich zur Kreuzung der Rue de Rome herabsenkte. Und abermals durchfuhr ihn eine Erleuchtung, die ganze vernichtende Wahrheit schmetterte wie ein Blitzstrahl auf ihn nieder, beim Auftauchen der schauderhaften Erinnerung an seine Frau, wie sie

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