Fruchtbarkeit - 1
Verantwortlichkeit auf sich, sagte, wie schuldig sie sei, sprach von ihrer ewigen Reue. Aber, im Namen Gottes, alles dies möge mit dem teuern Kinde in die Erde gesenkt werden, und auf ihrem Grabe möge nichts blühen als reine Blumen, die einmütige Klage um solche Jugend, um solche unschuldige Schönheit. Allmählich unterlag Morange, gab der Schwäche seines Herzens nach, und das Wort Mörder, das er immer noch in stumpfsinniger Beharrlichkeit wiederholte, wurde seltener und seltener, war jetzt nur noch ein stammelndes Murmeln, das von Tränen erstickt wurde. Seine Tochter vor Gericht gezerrt, ihr Körper geöffnet, seine Befleckung vor aller Augen ausgebreitet, die Zeitungen erfüllt mit der Erzählung des Verbrechens, mit der Beschreibung dieser schändlichen Höhle, in der er sie wiedergefunden – nein, nein! Er konnte das nicht wollen, diese Frau hatte recht. Die Erkenntnis seiner Machtlosigkeit, sie zu rächen, ließ ihn vollends vernichtet, gebrochen, als ob man ihn mit schweren Schlägen bearbeitet hätte, seine Glieder waren gelähmt, sein Kopf leer, sein Herz kalt und matt. Er verfiel in eine Art Kindlichkeit, er faltete die Hände, bat wie ein kleiner furchtsamer Knabe, mit klagendem Stammeln, mit der Verschüchterung, mit der Resignation eines armen Wesens, das um Mitleid fleht, weil es so leidet.
»Ich werde niemand was zuleide tun, tun Sie mir auch nichts zuleide… Nur, zeigen Sie sie mir, ich will sie sehen!«
Sérafine, die endlich gesiegt hatte, wollte sich erheben. Aber Mathieu mußte ihr helfen, so war auch sie gebrochen, erschöpft, am Ende ihrer Kräfte. Schweiß stand auf ihrer Stirne, sie mußte sich einen Augenblick auf den Arm stützen, den er ihr geboten hatte; dann sah er sie an, wie sie allmählich ihre stolze Gestalt aufrichtete, triumphierend, daß sie es mutig durchgeführt hatte, gleichwohl schon beeinträchtigt und erschüttert in ihrer Energie, ihre Freuden zu verteidigen. Nnd er war erstaunt, sie so gealtert zu finden, als ob die Anzeichen des Welkwerdens, die er schon bemerkt hatte, sich plötzlich verstärkt hätten, mit tausend Fältchen ihr bleiches Gesicht durchfurchend.
Morange streckte seine zitternden Hände aus, wiederholte seine klägliche Kinderbitte:
»Ich flehe Sie an, zeigen Sie sie mir, ich will sie sehen! Ich werde niemand etwas tun, ich werde ganz ruhig bei ihr bleiben.«
Sarraille willfahrte ihm endlich, da er ja nun resigniert schien. Man stützte ihn, man führte ihn durch einen kleinen Gang in das schreckliche Zimmer. Mathieu und Sérafine traten mit ihm ein, während der Arzt an der Schwelle der Tür, die weit offen gelassen wurde, stehenblieb.
Es war dasselbe Zimmer, das Zimmer des Grausens und des Entsetzens, in welchem der Mann vor nun acht Jahren seine Frau tot gefunden hatte. Dasselbe staubige Fenster ließ nur das grünliche Licht des Hofes herein, dieselbe elende Hotelzimmereinrichtung stand auf schmutzigem Boden, zwischen den vier kahlen Wanden mit der rotgeblümten, von der Feuchtigkeit losgelösten Tapete. Und hier, inmitten dieser Verwahrlosung, auf diesem elenden Bette, fand der Vater dieses Mal sein Kind, seine kleine Reine, sein Idol, seine Gottheit, deren alleiniger Kultus sein Leben ausfüllte. Ihr reizender Kopf ruhte auf ihren gelösten schwarzen Haaren. Das Gesicht war wachsbleich, als ob alles Blut ihres Körpers durch die verbrecherische Wunde entströmt wäre. Dieses im Leben so runde und frische Gesicht, das so viel liebenswürdige Fröhlichkeit, so warmes Verlangen nach Luxus und Wohlleben ausgedrückt hatte, hatte im Tode einen schrecklichen Ernst angenommen, ein verzweifeltes Bedauern um das, was sie in so entsetzlicher Weise verließ. Sie war tot, sie war allein, ohne eine Seele neben ihr, ohne eine Kerze. Man hatte ihr einfach die Decke bis ans Kinn hinaufgezogen, ebenso wie man, als einzigen Putz des Zimmers, sich damit begnügt hatte, unter dem Bette die Blutlache auszuwaschen, die die Matratze durchdrungen hatte. Und dieser große nasse Fleck auf der schlecht gereinigten und noch rötlichen Diele zeugte von dem grauenhaften Drama.
Taumelnd, trunken vor Schmerz, stand Morange da. Valérie, Reine, welche von beiden war es? Er wußte wohl, daß die Mutter in der Tochter auferstanden war, daß sie ihm so wiedergekehrt war, um einen Teil ihres Lebens der Liebe wieder an seiner Seite zu durchleben: er wußte wohl, daß beide immer nur eine Person gewesen waren, und jetzt war es bewiesen, da die Tochter nun hinging, wie die
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