Fruchtbarkeit - 1
gewissermaßen normalen Charakter annahmen. Durch ihre Häufigkeit, durch die Erschütterungen, denen sie den Organismus aussetzten, führen sie die schrecklichsten Zerstörungen und chronische Zusammenziehungen herbei. Der Arzt vermutete eine solche, besonders seitdem er Constance an einer lokalen Entzündung behandelt hatte. Und die Unfruchtbarkeit mußte die unheilbare Folge sein.
»Ich will mich nicht mehr darein mengen, lassen Sie sich von ihr einen andern Tag bestimmen,« wiederholte Beauchêne, als er ihn hinausgeleitete. »Und heilen Sie sie, das sollte nicht unmöglich sein, denn sie hat recht, wenn sie sagt, daß sie fast ganz unverbraucht ist, daß sie ihrerseits keine Exzesse begangen hat. Sie wissen es übrigens, und ich glaube nicht an Ihre Theorie, daß man immerfort Kinder haben muß, wenn man eines soll haben können, wenn man will. Wenn man nicht ein wenig krumme Wege geht, ist das Leben unmöglich.«
»Was würden Sie,« erwiderte der Doktor, »von einem Manne sagen, der einen Apfelbaum besäße, den er in jedem Frühjahr seiner Blüten beraubte, und der sich dann wunderte, daß keine Äpfel darauf wachsen? Sie haben den Baum mißhandelt, nun ist er unfruchtbar.«
Als Boutan am zweitnächsten Tage Constance untersuchte, fand er eine Diagnose bestätigt, obgleich er sie nur als höchst wahrscheinliche Hypothese aufstellen konnte, denn diese Lebensquellen sind so geheimnisvoll, daß man in ihnen nicht mit voller Sicherheit lesen kann. Er blieb sehr vorsichtig und zurückhaltend in seinem Ausspruche, denn er wollte sie nicht mit einem Schlage in vollkommene Verzweiflung stürzen. Einen Augenblick schien er sogar ihren Anklagen gegen ihren Mann beizustimmen, dessen Ausschweifungen und unsauberen Liebesabenteuer ihn wohl vor der Zeit geschwächt haben mochten. Auf alle Fälle aber sei sie doch gezwungen, ihre einzige Hoffnung auf diesen Mann zu setzen, der immerhin, trotz der Vergeudung seiner Kräfte, noch rüstig sei. Und er gestand schließlich bei ihr eine innere Störung zu, die er behandeln und auch zweifellos heilen würde. Es würde sicherlich lange dauern, sie müsse Geduld haben. Er selbst hoffte anfangs, sich getäuscht zu haben, nur eine Kongestion vor sich zu haben, deren er durch eine ausdauernde Behandlung Herr zu werden hoffte. Als er sich eines Tages das schwerwiegende Wort »Zusammenziehung« entschlüpfen ließ, geriet sie in heftige Bestürzung, und er mußte den Ausdruck widerrufen. Und Monate gingen hin, unter einer Behandlung, die er ihr zweimal wöchentlich angedeihen ließ, unter der peinlichen Befolgung einer Reihe von Vorschriften, unter bangem Harren, das immer wieder mit Enttäuschung endigte, immer heftigere Anfälle entsetzlicher Mutlosigkeit hervorrief. Der Augenblick mußte kommen, wo Constance kein Vertrauen mehr in diesen Arzt setzte, dessen Kunst sie nicht einmal Mutter machen konnte. Sie fand ihn zu sanft, zu vorsichtig in seiner Ordination, zu ängstlich in seinen Mitteln. Dann ahnte sie. daß er sie hinhielt, daß er sie mit immer wieder hinausgeschobenen Versprechungen einlullte, wählend er wohl von der Nutzlosigkeit seiner Anstrengungen überzeugt war. Und sie entschloß sich, einen andern Versuch zu machen, sie begab sich in die Behandlung Madame Bourdieus, nachdem diese bei ihrem ersten Besuche nach der Untersuchung ausgerufen hatte, daß sie sich verpflichte, sie wieder herzustellen; der Fall Madame Angelins sei ein ganz andrer, dort liege eine durch Mißbrauch und zerstörende Verzögerung hervorgerufene Entartung vor. Dann begann eine neue Kur, neues Warten. Monate hindurch ging sie in die Rue Miromesnil und unterzog sich einer energischen, schmerzhaften Behandlung. Aber nach wie vor kam nichts, die so lange betrogene Natur weigerte sich, ihre Fruchtbarkeit wiederherzustellen, und wieder ergriff sie die Todesangst, daß ihre Mutterschaft tot sei, der fortwährende Wechsel zwischen Hoffnung und Hoffnungslosigkeit rieb sie auf. Dann verlor sie alle Besinnung, nahm ihre Zuflucht zu Quacksalbern, durchsuchte täglich die Zeitungen nach der Ankündigung irgendeines Mittels, nach der Adresse irgendeines zweideutigen Hauses, wo man aus den unfruchtbaren Frauen ein Gewerbe machte, so wie man in andern auf die fruchtbaren spekulierte. Eines Abends begab sie sich zu der Rouche, die ihrer Spezialität der Totgeborenen den Vertrieb eines unfehlbaren Mittels gegen die Kinderlosigkeit hinzugefügt hatte, die also dergestalt die Kinder unterdrückte oder verschaffte,
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