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Fruchtbarkeit - 1

Fruchtbarkeit - 1

Titel: Fruchtbarkeit - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Umarmungen auszukosten, ungestraft … Ich gestehe! Ich gestehe! Und wenn ich auch zehnmal zerschmettert bin, ich würde es morgen wieder tun, wenn ich wieder vor der Wahl stünde, ich würde dem Verlangen nicht widerstehen können, wieder die Unendlichkeit der Lust zu erschöpfen.«
    Sie hatte es hinausgeschrien, halb emporgerissen, in einer Art wilder Verzückung. Dann fuhr sie fort, erzählte von ihrem Triumphgefühl nach der Operation, als sie zuerst unter der Reizung des Eingriffes ihre Begierde sich steigern gefühlt hatte. Die Natur war besiegt, die Wollust war verzehnfacht, und sie konnte nun alle Geliebten gefahrlos empfangen. Dann hatte der allmähliche Verfall begonnen, die Anzeichen einer vorzeitigen Greisenhaftigkeit traten eins nach dem andern hervor. Sie war kein Weib mehr, es schien, als habe das amputierte Geschlecht alles mit sich genommen, was ihren Reiz und ihren Stolz gebildet hatte. Da sie weder Gattin noch Mutter sein konnte, wozu die sieghafte Schönheit der Gattinnen und Mütter? Die Haare fielen ihr aus, ihre Zähne wurden gelb und locker. Dazu kam eine zunehmende Schwäche der Augen, und ein fast unaufhörliches Summen in den Ohren machte sie rasend. Aber was sie am meisten entsetzte, das war diese Abmagerung, die sie austrocknete, zum Skelett machte, ihre Haut zusammenrunzelte, sie gelb, hart und spröde wie Pergament werden ließ.
    Und in ihrer rasenden Verzweiflung rief sie: »Oh, Sie sehen noch nicht alles, mein Freund; da, sehen Sie her!« Mit ihren beiden Händen riß sie ihr Kleid auf. Ihre Brust und ihre Schultern kamen zum Vorschein, die ganze Verwüstung ihrer Schönheit, der ganze schreckliche Verfall ihres Körpers, der einst so warm, so blühend, so duftend gewesen und nun ausgemergelt, verdorrt war, gleich einer abgefallenen Frucht, die verdirbt. Es war der Ruin ihrer lüsternen Nacktheit, die Vernichtung der Liebe für immer. Und ihre Hände zitterten vor zornerfüllter Scham, als sie sich furchtsam wieder bedeckte, um diese vorzeitige Alterung zu verbergen, gleich einem häßlichen Geschwür, das an ihr fraß.
    »Nun sagen Sie, lieber Freund, was ich tun soll? Selbst meine Hände scheinen nicht mehr mir zu gehören, ich weiß nicht, womit ich sie beschäftigen soll. Ich habe nur ein Verlangen: immer zu schlafen, traumlos zu schlafen. Aber sowie ich in Schlummer verfalle, habe ich schreckliche Träume. Ich verbringe meine Nächte wie meine Tage, indem ich mich von Stuhl zu Stuhl schleppe und mich in einer unaufhörlichen Wut verzehre, die mir das Leben vollends unerträglich macht… Aber alles das ist noch nichts. Das Alter, die Zerstörung meines Körpers würde ich noch hinnehmen. Wenn dieser Gaude nichts andres getan hätte als die Runzeln, das unvermeidliche Welkwerden beschleunigt, so könnte ich es ihm noch verzeihen, indem ich mir sagte, daß man für alles bezahlen muß. Aber was mich rasend macht, das ist, daß er das Gefühl, die Lust in mir getötet hat, das einzige, wofür ich lebte. Und das, mein Freund, ist das Verbrechen, das ist die fürchterlichste der Qualen.«
    Sie war aufgestanden und schritt auf und ab, immer rückhaltloser alles heraussagend, so von Seelenleiden gefoltert, daß das Abscheuliche ihrer Geständnisse sich zu einer Art wilden Größe erhob. Sie gab gemeine Einzelheiten, als ob sie nicht zu einem Manne spräche, und er erbebte vor mitleidigem Entsetzen, ohne verletzt zu sein, so sehr zeigte sich in dem wütenden Aufschrei ihrer Ohnmacht das menschliche Elend. Oh, wie sie sie beneidete, die andern Operierten, die, welche, indem sie alles verloren, auch die Begierde verloren hatten, wie jene Euphrasie Moineaud zum Beispiel, die zum Nichts geworden, deren Körper erkaltet war! Sie waren nur noch unbeseelte Dinge, sie konnten leben, wie diese kleine Cécile, diese Jungfrau, die nie etwas gewußt hatte und nie etwas wissen würde. Aber sie Unselige verzehrte sich um das erstorbene Gefühl, sie, in der die überreizte, ungesättigte Begierde noch immer brannte und die sie nun nicht mehr befriedigen konnte. Gab es eine Vorstellung für diese teuflische Folter, nur noch das Nichts zu umarmen, den Genuß leer zu trinken, ihn nie mehr zu erlangen, wie angestrengt, wie rasend man ihn auch verfolge! Erschöpfung, Nervenanfälle, die sie gebrochen ließen, ja – aber Genuß, keinen, keinen mehr! Und gerade nur ihr Verlangen nach unendlichem, nach freiem, straflosem Genuß hatte sie zu dieser unsinnigen Operation getrieben, die nun den Genuß getötet

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