Fruchtbarkeit - 1
ermattet wieder eingeschlafen. Sie rührten sich nicht mehr, aus Furcht, ihre Ruhe zu stören, sie blieben an ihrer Seite, wachend und wartend, während mit dem fortschreitenden Tag das Leben auf dem Hofe sich immer stärker regte. Sie hörten die Stunden schlagen, fünf Uhr, sechs Uhr. Zwanzig Minuten vor sieben Uhr sah Mathieu unten Denis, der sich eben nach dem Bahnhofe begeben wollte, um nach Paris zurückzukehren, und ging eilig hinab, um ihm aufzutragen, sich zu Doktor Boutan zu begeben und ihn zu bitten, er möge ohne eine Minute Verzug herbeieilen. Und nachdem sein Sohn fortgegangen war, hatte er sich wieder hinaufbegeben, ohne noch jemand zu rufen oder auch nur zu benachrichtigen, als ein dritter Anfall eintrat. Und diesmal fuhr der Blitzschlag nieder.
Rose hatte sich aufgerichtet, die Arme ausgebreitet, nach Atem ringend, und rief wieder ihr jammerndes »Mama! Mama!«
Dann sprang sie in einem letzten Aufbäumen der Lebenskraft aus dem Bette und eilte ans Fenster, das die steigende Sonne vergoldete. Sie lehnte sich daran, mit nackten Füßen, mit nackten Schultern, in ihrer ganzen jungfräulichen Reinheit, die schweren Haare aufgelöst, die sie gleich einem königlichen Mantel umhüllten. Nie war sie schöner, blühender in Gesundheit und Liebe erschienen.
»Oh, wie ich leide! Es ist aus, ich sterbe!«
Der Vater war herbeigeeilt, die Mutter stützte sie, umschlang sie mit ihren Armen, wie um daraus einen undurchdringlichen Schild gegen jede Gefahr zu bilden.
»Sei doch still, du närrisches Kind! Es ist nichts, es ist nur wieder ein Anfall, der vorübergehen wird. Sei brav, leg dich wieder nieder! Dein alter Freund Boutan ist schon auf dem Wege, morgen bist du wieder wohlauf.«
»Nein, nein, es ist aus, ich sterbe!«
Sie fiel in ihre Arme, sie hatten gerade nur Zeit, sie wieder ins Bett zu legen. Und dann geschah das Entsetzliche, sie starb ohne eine Wort, ohne einen Blick, in wenigen Minuten, an einer Lungenkongestion.
Der sinnlose Blitzstrahl war niedergefahren, die blinde Sense hatte mit einem einzigen Streich den ganzen Frühling abgemäht. Das war so brutal, so furchtbar jäh und unerwartet, daß die Betäubung zuerst über den Schmerz den Sieg davontrug. Auf die Schreie Mathieus und Mariannens lief das ganze Haus herbei, erfüllte sich mit dem Lärm des Entsetzens, und sank dann in das tiefe Schweigen des Todes, alle Arbeit, alles Leben stand still. Und bestürzt, vernichtet standen nun die andern Kinder da: der kleine Nicolas, der noch nichts begriff; Grégoire, der Page von gestern; die drei Hofdamen Louise, Madeleine und Marguerite; die Größeren und am schwersten Betroffenen: Gervais und Claire. Aber andre waren noch auf dem Wege, die ältesten, Blaise, Denis und Ambroise, die eben nach Paris fuhren und noch nichts von dem unerwarteten, dem unfaßbaren Schlage wußten, der die Familie betroffen hatte. Wo wird die entsetzliche Nachricht sie erreichen? In welcher Verzweiflung werden sie wiederkehren? Und der Arzt, der herbeieilen wird! Und inmitten der Schreckensverwirrung der ersten Minuten ertönten die Verzweiflungsschleie Frédérics, des Bräutigams, der in heftigen Jammer über sein Unglück ausbrach. Er gebärdete sich wie wahnsinnig, er wollte sich töten, er klagte sich an, ihr Mörder zu sein, er hätte sie abhalten sollen, die Fahrt im Gewitter fortzusetzen. Man mußte ihn aus dem Zimmer, aus dem Hofe führen, um ein neues Unglück zu verhüten. Sein plötzlicher Wahnsinnsanfall hatte die Herzen gebrochen; die Tränen flossen, die unglücklichen Eltern, die Brüder, die Schwestern ergingen sich in lauten Klagen, und mit ihnen das ganze so hart betroffene Chantebled, in welches der Tod zum ersten Male eingetreten war.
Rose, großer Gott! Sie auf dem Totenbette, weiß, kalt, leblos! Sie, die Schönste, die Fröhlichste, die Geliebteste! Die, auf welche alle stolz waren, die alle bewunderten und vergötterten! Sie, hinweggerafft am Anfange eines Lebens, das noch so lang und glücklich zu werden versprach, zehn Tage vor ihrer Hochzeit, am Morgen nach diesem Tage übermütiger Fröhlichkeit, an dem sie so viel gescherzt, so viel gelacht hatte! Gestern noch so lebensvoll, so entzückend, voll toller Kindereinfälle, mit ihrem fürstlichen Empfange, ihrem königlichen Gefolge. Diese zwei am selben Tage zu feiernden Hochzeiten wären gleichsam die Blüten des gefesteten Glückes, des langandauernden Gedeihens der Familie gewesen, das aus dieser hohen Freude hätte erwachsen sollen. Bis
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