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Fruchtbarkeit - 1

Fruchtbarkeit - 1

Titel: Fruchtbarkeit - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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durchaus weiterfahren, und wenn sie einmal etwas will, so habe ich nicht die Kraft, mich ihr entgegenzustellen.« Rose unterbrach endlich diese Vorwürfe in ihrer fröhlichen Art.
    »Na denn, jetzt habt ihr genug gescholten, ich habe unrecht getan. Niemand macht mir ein Kompliment über meine Brühe! Habt ihr je schon Krebse auf dem Feuer gefehen, die so gut rochen wie diese?«
    Die Mahlzeit verlief unter ausgelassener Fröhlichkeit. Da die Gesellschaft zwanzig Köpfe stark war und da man eine richtige Probe des Hochzeitsmahles abhalten wollte, war die Tafel in einem großen Raume aufgestellt worden, der an das gewöhnliche Speisezimmer stieß. Er war noch ganz kahl; aber während des ganzen Mahles sprach man nur davon, wie er geschmückt werden sollte, mit Strauchgewächsen, Blättergirlanden und Blumensträußen. Beim Dessert wurde sogar eine Leiter herbeigeschleppt, mit deren Hilfe man die Linien der Dekoration an die Wände skizzierte.
    Seit einigen Augenblicken war Rose, bisher so geschwätzig, schweigsam geworden. Sie hatte allerdings mit gutem Appetit gegessen. Aber unter ihrem noch feuchten schweren Haar war ihr Gesicht wachsbleich, wie blutleer geworden. Und als sie selber auf die Leiter steigen wollte, um eine Ausschmückungsart anzugeben, wankte sie plötzlich und fiel in Ohnmacht. Man setzte sie auf einen Stuhl, alles geriet in Bestürzung. Sie blieb einige Minuten lang besinnungslos. Als sie dann wieder zu sich kam, schien noch ein erstickender Druck auf ihr zu liegen; sie blickte sich angstvoll und wortlos um, als verstünde sie nicht, was ihr geschehen sei. Aufs höchste erschreckt, bestürmten Mathieu und Marianne sie mit Fragen. Offenbar hatte sie sich erkältet, das war die Folge dieser sinnlosen Fahrt. Das Mädchen erholte sich jedoch bald und lächelte wieder; sie sagte, daß sie keine Schmerzen habe, sie habe es plötzlich wie einen schweren Stein auf der Brust gefühlt, aber es sei nun vergangen, sie atme wieder frei. In der Tat war sie bald wieder die Frühere, sie entwickelte ihre Idee der Ausschmückung, so daß sich alles wieder beruhigte und der Nachmittag in fröhlichster Weise mit Plänemachen und dem Ausmalen einer schönen Zukunft verging. Beim Diner aß man wenig, so sehr hatte man mittags den Krebsen zugesprochen. Als dann Céleste um neun Uhr kam, um Andrée abzuholen, trennte sich die Familie. Ambroise kehrte noch diesen Abend nach Paris zurück. Blaise und Denis wollten morgen mit dem ersten Zuge um sieben Uhr fahren. Und Rose, die Madame Desvignes und ihre Töchter bis auf die Straße begleitete, rief ihnen durch die Nacht noch viele »Auf Wiedersehen!« und »Auf bald!« zu, noch ganz erfüllt von der frohen Erregung des Tages, nach welchem die Familie zu der glücklichen Gelegenheit der Doppelhochzeit sich wieder vereinigen wollte.
    Weder Mathieu noch Marianne gingen jedoch sogleich zu Bette. Ohne es sich gegenseitig gestehen zu wollen, waren sie über Rose beunruhigt; sie fanden sie verändert, ihre Augen waren trüb, sie sah aus wie trunken. Beim Zurückkehren ins Haus hatte sie wieder gewankt; sie bewogen sie, sich zu Bett zu legen, obgleich sie nur über ein wenig Atembeschwerden klagte. Nachdem sie sich in ihr Zimmer zurückgezogen hatte, welches neben dem der Eltern lag, blieben diese noch wach; die Mutter ging wiederholt hinein, um sich zu überzeugen, daß sie gut zugedeckt war und ruhig einschlief, während der Vater unruhig und nachdenklich unter der Lampe saß. Sie war endlich eingeschlummert, und die Eltern sprachen, nachdem sie die Verbindungstür offen gelassen hatten, noch eine Weile miteinander, um sich zu beruhigen: es sei nichts, morgen werde alles wieder gut sein. Dann gingen auch sie zu Bette, und der ganze Hof sank in Schweigen, vom Schlaf gefesselt, bis zum ersten Hahnenschrei. Aber gegen vier Uhr, vor der Dämmerung, weckte ein dumpfer, erstickter Ruf »Mama! Mama!« die Gatten auf, und sie sprangen aus dem Bette, barfuß, zitternd, nach der Kerze suchend. Rose war dem Ersticken nahe, wand sich unter einem zweiten Anfall von außerordentlicher Heftigkeit. Wieder erholte sie sich jedoch nach einigen Minuten, fühlte sich erleichtert, und die Eltern zogen es trotz ihrer großen Angst vor, niemand zu rufen und den Morgen abzuwarten. Sie waren besonders entsetzt darüber, ihre Tochter so verändert zu finden, mit geschwollenem, verzogenem Gesichte, als ob irgendeine böse Macht sie ihnen in einer einzigen Nacht verwandle, sie ihnen raube. Sie war jedoch

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