Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fruchtbarkeit - 1

Fruchtbarkeit - 1

Titel: Fruchtbarkeit - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
Vom Netzwerk:
wird zum Stillstand kommen, sobald Europa durch seine Tore eingedrungen sein wird.«
    Ernst geworden hörte Mathieu zu, seitdem die zwei Weltmänner in Frack und Krawatte da vor ihm von vernünftigen Dingen sprachen. Es handelte sich nicht mehr um die flachbrüstige und blutlose Jungfrau ohne Geschlecht, aus der sie das Ideal der menschlichen Schönheit machten. Es war die lebende und bebende Menschheit, deren Geschichte sich aufrollte. Er reflektierte laut.
    »Sie haben also keine Furcht mehr vor der gelben Pest, jener furchtbaren Vermehrung der asiatischen Barbaren, welche eines schicksalsschweren Tages sich über unser Europa ergießen, es überschwemmen und neu befruchten könnten? So hat die Weltgeschichte immer angefangen, mit plötzlichen Verschiebungen von Meeresmassen, mit Invasionen von barbarischen Völkern, welche den entnervten Kulturnationen neues Blut zuführten. Und jedes Mal ist die Zivilisation wieder aufgeblüht, mächtiger und freier als je. Warum sind Babylon, Ninive, Memphis zu Staub zerfallen, ihre Völker verdorrt wie Bäume, deren Wurzeln keine Nahrung mehr finden? Warum liegen Rom und Athen noch heute in Erstarrung, unvermögend, wieder zum Leben zu erstehen, ihre alte Herrlichkeit wiederherzustellen? Warum ist Paris, trotz all seines blendenden Glanzes, bereits vom Tode gezeichnet, als Hauptstadt eines Landes, dessen Mannheit der Schwäche anheim fällt? Sie mögen wohl eine philosophischhistorische Formel dafür finden, mögen sagen, dass es, nach dem Vorbild der antiken Hauptstädte der Welt, am Übermaß der Kultur, der Intelligenz und der Zivilisation stirbt: es ist darum nicht minder der Tod, das Abströmen der Flut, welche den Glanz und die Macht einem neuen Volke zuträgt. Ihre Stabilität ist eine trügerische, nichts kann auf demselben Punkte bleiben; was nicht wächst, das schwindet und verschwindet. Und wenn Paris sterben will, so wird es sterben, und das Vaterland wird mit ihm sterben.«
    »Du lieber Gott!« erklärte Santerre, wieder die Pose des eleganten Pessimisten annehmend, »wenn es sterben will, so sterbe es denn, ich werde mich nicht widersetzen. Ich bin im Gegenteil fest entschlossen, ihm dabei zu helfen.«
    »Keine Kinder, das ist unwiderleglich der Standpunkt der Gewissenhaftigkeit und der Weisheit,« sagte Séguin, der sich die zwei, die er zur Welt gesetzt, verzeihen zu lassen hatte.
    Aber, als ob er sie nicht gehört hätte, fuhr Mathieu fort:
    »Ich kenne das Spencersche Gesetz, ich halte es sogar für theoretisch richtig. Es ist unleugbar, dass die Zivilisation die Fruchtbarkeit vermindert, so dass man sich eine Reihe sozialer Evolutionen vorstellen kann, welche die Verminderung oder die Überwucherung der Bevölkerung regeln und ausgleichen, um endlich bei einem Gleichgewichtszustand anzulangen, welcher dann wohl den Zustand der höchsten Kultur und des Wohlseins bedeuten mag, wenn erst einmal die ganze Erde bewohnt und zivilisiert ist. Wer aber kann den Weg voraussehen, der dahin führt, durch welche Katastrophen, durch welch unsagbare Leiden hindurch! Nationen werden verschwinden, andre werden sie ersetzen, und wie viel tausend Jahre werden hingehen müssen, ehe wir den definitiven Zustand des ruhenden Schwerpunktes erreichen, den Zustand des endlich eroberten Friedens und der Wahrheit? … Die Vernunft erbebt und zögert, das Herz zieht sich vor Angst zusammen.«
    Ein tiefes Schweigen folgte, während dessen er sich erschüttert, wankend gemacht fühlte in seinem Glauben an die segensreichen Kräfte des Lebens, nicht mehr wusste, wer recht habe, er, der einfache Mann, oder diese zwei lässig hingestreckten Weltleute mit ihrem komplizierten und vergifteten Nihilismus.
    Valentine trat ein, lachend, in der burschikosen Manier, die sie sich mit Mühe angeeignet hatte.
    »Na, wisst ihr, ihr dürft mir’s nicht übelnehmen! Diese Céleste wird nicht fertig.«
    Sie war fünfundzwanzig Jahre alt, mager und sehr lebhaft, klein, von dem Aussehen eines emanzipierten Backfisches. Blond, mit feinen Zügen, lachenden blauen Augen, einer kleinen, unbekümmerten Nase, war sie nicht gerade hübsch, aber amüsant und reizend. Von ihrem Gemahl an alle schlecht beleumundeten Orte geführt, vertraut geworden mit den Schriftstellern und Künstlern, die im Hause verkehrten, wurde sie die letzte der Vaugelade nur allzu verletzender Frechheit gegenüber, gegen welche sie dann die eisige und verachtende Aristokratin hervorkehrte.
    »Ah, Sie sind’s, Monsieur Froment,« sagte sie

Weitere Kostenlose Bücher