Fruchtbarkeit - 1
die unvergängliche Schönheit, das zeigt Ihr Buch, alles überstrahlend: sie ist die unberührte Jungfräulichkeit, in ihrer Blüte, welche kein Hauch befleckt hat, in welcher die abstoßenden Zeugungsfunktionen unterdrückt sind. Kann man ohne eine Regung des Ekels jene verwelkten, entsafteten, schiefgezogenen Weiber sehen, welche eine Schar Kinder mit sich schleppen, wie irgend ein Tierweibchen seine Jungen? Das naive Gefühl der großen Menge empfindet das auch, scherzt über sie, wenn sie vorübergehen, belegt sie mit Spott und Verachtung.«
Mathieu, der stehengeblieben war, gestattete sich nun, das Wort zu ergreifen.
»Aber der Begriff der Schönheit ist veränderlich. Sie sehen ihn in der Unfruchtbarkeit der Frau, in den langen und schmächtigen Formen, in den schmalen Hüften. Während der ganzen Zeit der Renaissance bestand jedoch die Schönheit in der gesunden und kräftigen Frau, mit breiten Hüften und üppigem Busen. Bei Rubens, bei Tizian, selbst bei Raffael ist die Frau robust, ist Maria wirklich Mutter. Es würde sich gerade darum handeln, diesen Begriff der Schönheit zu ändern, damit die beschränkte Familie, welche heute das Begehrte ist, Platz mache der zahlreichen Familie, welche die einzig schöne werden würde. Nach meiner Ansicht liegt hierin das einzige radikale Heilmittel gegen das wachsende Uebel der Entvölkerung, mit dem man sich heute so sehr beschäftigt.«
Die beiden betrachteten sich lächelnd mit dem Ausdrucke erhabenen Mitleids.
»Die Entvölkerung ein Uebel!« sagte Séguin. »Wie, mein werter Herr, Sie, der Sie so intelligent sind, stehen noch auf diesem Punkte? Denken Sie doch ein wenig nach!«
»Noch ein Opfer des beklagenswerten Optimismus!« bemerkte Santerre. »Sie müssen sich vor allem sagen, Monsieur, daß die Natur wahllos handelt, und daß, wer sie nicht eindämmt und verbessert, ihr Opfer wird.«
Sie sprachen einer um den andern, manchmal sogar beide zugleich. Sie ereiferten sich, berauschten sich an ihren düsteren Vorstellungen. Vorerst einmal existiere der Fortschritt nicht. Man brauche nur des Endes des vorigen Jahrhunderts zu gedenken, da Condorcet die Rückkehr des Goldenen Zeitalters ankündigte, den nahen Zustand allgemeiner Gleichheit, allgemeinen Friedens unter den Menschen und Völkern: eine edle Illusion machte alle Herzen schwellen, die Utopie öffnete allen schönsten Hoffnungen den Himmel – und hundert Jahre später, welcher Sturz, dieses Ende unsers Jahrhunderts, welches mit dem Bankrott der Wissenschaft, der Freiheit und der Gerechtigkeit schließt, welches an der Schwelle des drohenden Unbekannten des kommenden Jahrhunderts in eine Pfütze von Blut und Kot hinfällt! Und sei die Erfahrung nicht schon gemacht worden? Dieses so ersehnte Goldene Alter, die Heiden hatten es vor die Zeit verlegt, dann kamen die Christen, welche es nach der Zeit verlegen, während die Sozialisten von heute es in die Zeit verlegen. Dies seien nur drei Formen einer beklagenswerten Illusion; es gäbe nur ein denkbares vollkommenes Glück, das des Nichtseins. Zweifellos verbiete ihnen ihr guter Katholizismus, die Welt mit einem Schlage zu unterdrücken; aber sie hielten sich berechtigt, sie einzuschränken. Schopenhauer und selbst Hartmann schienen ihnen übrigens veraltet. Sie näherten sich Nietzsche, der Theorie einer verminderten Menschheit, dem aristokratischen Traume einer Elite, mit verfeinerter Nahrung, vergeistigteren Gedanken, schöneren Frauen, endigend in dem vollkommenen Menschen, dem Menschen höherer Ordnung, dessen Genüsse verzehnfacht sein würden. Es ging dabei freilich nicht ohne Widersprüche ab, die sie sich aber nicht viel anfechten ließen, da sie, wie sie sagten, nur das eine Ziel hatten, in Schönheit zu leben. Malthus war ihr Mann, ebenso wie der Beauchênes, einzig, weil seine Hypothese, indem sie die Armen für ihre Armut verantwortlich machte, die Reichen aller Gewissensbisse enthob. Aber indem er die Enthaltsamkeit als Gesetz aufstellte, hatte er nicht die Unterschlagung gewollt, und sie mißdeuteten ihn, indem sie von unerhörten Eindämmungen träumten, welche mit unfruchtbaren Liebesgenüssen, mit monströsen Ausschweifungen einhergehen sollten. Wenn sie sich, in der Ueberspitztheit ihrer düsteren Poesie, in dem Gedanken an das Ende der Welt gefielen, so sahen sie sie nur in dem Paroxysmus bisher ungeahnter, verhundertfachter, vernichtender Wollust enden.
»Es ist Ihnen wohl nicht unbekannt.« sagte Santerre kalt, »daß man in
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