Fruchtbarkeit - 1
Deutschland den Vorschlag gemacht hat, jährlich eine durch das Gesetz nach Maßgabe der Geburtstabellen zu bestimmende Anzahl armer Kinder zu kastrieren. Das wäre ein Mittel, um die sinnlose Fruchtbarkeit der unteren Klassen zu beschränken.«
Es war nicht dieser literarische Pessimismus, der Mathieu tiefer berühren konnte, denn er scherzte oft selber gern darüber, obgleich er den unheilvollen Einfluß auf die Sitten einer Literatur erkannte, welche den Haß des Lebens und das Ideal der Negation predigte. In diesem Hause selbst spürte er den Atem der unsinnigen Mode, den Druck einer feigen und kranken Zeit, die sich damit vergnügte, mit dem Tode zu spielen. Welcher von den zweien da, die sich gegenseitig vergifteten, log mehr, teilte dem andern mehr Wahnwitz mit? Er, mit seiner Religion der Fruchtbarkeit, war überzeugt, daß ein Volk, welches nicht mehr den Glauben an das Leben hat, ein krankes Volk ist. Und dennoch hatte er seine Stunden des Zweifels an der Rätlichkeit der zahlreichen Familien vom ökonomischen und politischen Gesichtspunkte aus, er fragte sich, ob zehntausend Glückliche nicht mehr wert wären für das Gedeihen und den Ruhm eines Landes als hunderttausend Unglückliche.
»Sie können nicht leugnen, mein werter Herr,« rief Séguin, wieder zum Angriff übergehend, »daß die Stärksten, die Intelligentesten die Unfruchtbarsten sind. In dem Maße, als das Gehirn eines Menschen sich erweitert, verringert sich seine Fortpflanzungsfähigkeit. Die Vermehrung, die Sie begeistert, welche Sie zum Begriff der Schönheit machen möchten, findet sich heute nur mehr auf dem Kehrichthaufen des Elends und der Unwissenheit. Und mit Ihren Ideen müssen Sie ja wohl Republikaner sein, nicht wahr? Nun denn, es ist ebenfalls bewiesen, daß die Tyrannei die Menschen an Zahl vermehrt, während die Freiheit sie nur an Wert vermehrt.«
Das waren wohl die Ideen, welche Mathieu manchmal tiefe Unruhe bereiteten. Hatte er nicht doch vielleicht unrecht, an die endlose Ausdehnung der Menschheit zu glauben? Befand er sich nicht vielleicht auf falschem Wege, indem er die Idee der Schönheit und des Glückes mit dem größten Reichtum am Leben identifizierte? Dennoch erwiderte er:
»Dies sind Tatsachen, deren Wahrheit nur eine relative ist. Die Malthusische Theorie hat sich in der Praxis als falsch erwiesen. Wenn die Welt sich vollständig bevölkerte, und wenn selbst die Nahrungsmittel fehlen sollten, so wäre die Chemie da, um Nahrung aus unorganischen Stoffen zu bereiten. Diese Dinge liegen übrigens in so unendlich weiter Ferne, daß auch selbst Wahrscheinlichkeitsberechnungen sich auf gar keiner wissenschaftlichen Grundlage aufbauen können. Und in Frankreich übrigens, weit entfernt, dieser Gefahr entgegenzugehen, befinden wir uns im Rückschritte, sind wir auf dem Wege zum Nichts. Frankreich, welches einst ein Viertel von Europa ausmachte, bildet davon jetzt nur mehr ein Achtel. In ein oder zwei Jahrhunderten wird Paris eine tote Stadt sein, wie das alte Athen oder das alte Rom, und wir werden auf den Rang des heutigen Griechenland gesunken sein … Paris will sterben.«
Santerre protestierte.
»O nein! Paris will einfach stationär bleiben, und zwar weil es die intelligenteste, die zivilisierteste Stadt der Welt ist. Begreifen Sie doch, daß die Zivilisation, indem sie neue Genüsse schafft, indem sie die Geister verfeinert, ihnen neue Gebiete der Tätigkeit aufschließt, das Individuum auf Kosten der Gattung bevorzugt. Je mehr die Völker sich zivilisieren, desto weniger Nachwuchs bringen sie hervor. Und eben, weil wir an der Spitze der Zivilisation marschieren, sind wir als erste bei der Weisheit angelangt, welche ein Land vor dem schädlichen und unnötigen Übermaß der Fruchtbarkeit bewahrt. Es ist ein Beispiel hoher Kultur, überlegener und zweckbewußter Intelligenz, welches wir der zivilisierten Welt geben und welchem die ganze Welt folgen wird, in dem Maße, als die einzelnen Völker unsern Zustand der Vollkommenheit erreicht haben werden. Die Anzeichen treten übrigens schon allerorts zutage.«
»Ganz gewiß!« stimmte Séguin bei. »Wenn es bei uns sekundäre Ursachen der Entvölkerung gibt, so besitzen sie nicht die Wichtigkeit, die man ihnen beilegen möchte, und man könnte sie leicht bekämpfen. Die Erscheinung ist eine allgemeine, alle Nationen sind ihr unterworfen, vermindern sich oder werden sich vermindern, sobald sie eine höhere Stufe erreicht haben. Japan ist davon berührt, selbst China
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