Fruchtbarkeit - 1
lag. Sie fuhr zurück, das Herz stand ihr still, als sie Denis an diesem Schreibtisch sitzen sah. War das nicht der auferstandene Blaise? So wie sie an diesem selben Nachmittag, nach dem fröhlichen Taufmahle, die Zwillinge verwechselt hatte, so sah sie nun hier Blaise und Denis wieder einander so gleich, daß auch ihre Eltern sie einst nur nach der Farbe ihrer Augen unterscheiden konnten. Blaise war wiedergekehrt, er hatte seinen Platz wieder eingenommen; er würde doch die Fabrik bekommen, trotzdem sie ihn getötet hatte. Sie hatte sich getäuscht; wenn er auch tot war, so würde er doch die Fabrik bekommen. Sie hatte einen von ihnen getötet, von diesen Froment, aber ein andrer kam zum Vorschein. Wenn einer starb, trat ein andrer in die Lücke. Und ihr Verbrechen erschien ihr mit einemmal so nutzlos, so sinnlos, daß sie stumpf vor sich hinstierend dastand, fühlte, wie ihr Haar sich sträubte, wie ihr der Angstschweiß ausbrach, als sähe sie ein Gespenst.
»Es ist eine Kundmachung für die Arbeiter,« erklärte Beauchêne. »Wir werden sie ans Tor kleben.«
Sie raffte sich auf, näherte sich und sagte zu ihrem Manne: »Mach doch das selbst. Warum bemühst du Blaise in einem solchen Augenblicke?«
Sie hatte Blaise gesagt, und wieder faßte sie das kalte Grauen. Unwillkürlich hörte sie sich dort in dem Vorzimmer wieder sagen: »Blaise, wo habe ich meine Boa hingetan?« Und Denis hatte sie ihr gebracht. Was half es, Blaise zu töten, wenn Denis da war? Wenn der Tod einen dieser Soldaten des Lebens abmäht, so tritt gleich ein andrer an die leer gewordene Stelle.
Aber sie sollte noch eine letzte Niederlage erleiden. Marianne und Mathieu kamen heraus, während Morange, in einem unklaren Bedürfnis sich zu bewegen, stumpfsinnig auf und ab ging, immer auf und ab, durch dieses Wirrsal entsetzlicher Schmerzen, namenloser Dinge, die seinen armen schwachen Kopf vollends verdrehten.
»Ich muß hinuntergehen,« stammelte Marianne, ihre Tränen zu trocknen versuchend und sich mit Anstrengung aufrechterhaltend. »Ich muß zu Charlotte, sie vorbereiten, ihr das Unglück mitteilen. Nur ich kann die Worte finden, daß sie nicht stirbt, in dem Zustand, in dem sie sich befindet.«
Mathieu versuchte angstvoll, sie zurückzuhalten, um ihr diese neue Prüfung zu ersparen.
»Nein, ich bitte dich! Denis wird gehen, oder ich selbst.«
Aber sie wehrte ihn sanft eigensinnig ab und ging weiter gegen die Tür.
»Ich versichere dir, nur ich kann es ihr sagen. Ich werde stark genug sein.« Und plötzlich verließen sie die Kräfte, sie fiel in Ohnmacht. Man mußte sie auf ein Sofa im Salon legen. Und als sie wieder zu sich kam, das Gesicht ganz weiß und verzerrt, wurde sie von ungemein heftigem Erbrechen befallen.
Während Constance sich außerordentlich besorgt und beflissen zeigte, ihrer Zofe klingelte, ihre Hausapotheke herbeibringen ließ, gestand Mathieu die Wahrheit, welche das Ehepaar bisher verschwiegen hatte.
»Sie ist schwanger, ja, seit vier Monaten, so lange wie Charlotte. In ihrem Alter, mit dreiundvierzig Jahren, war sie ein wenig verlegen darüber, und wir haben nicht davon gesprochen. Ach, die teure, tapfere Frau, sie, die ihrer Schwiegertochter eine zu heftige Erschütterung ersparen wollte, wenn sie nur nicht selbst erliegt!«
Schwanger, großer Gott! Constance hatte die Nachricht empfangen wie den letzten, schwersten Schlag, der sie vollends vernichtete. Wenn sie also nun Denis in den Tod gehen ließe, so würde wieder ein Froment hervorwachsen, der ihn ersetzte? Und wieder einer, und wieder einer, bis ins Unendliche!« Es war eine Wucherung von Kraft, von unversiegbarem Leben, gegen die jeder Kampf vergeblich war. In ihrer Betäubung darüber, daß die Bresche, kaum durchbrochen, schon wieder ausgefüllt war, fühlte sie die jämmerliche Ohnmacht, die Leere ihrer Unfruchtbarkeit. Sie war geschlagen, von Furcht überwältigt, wie weggetragen, weggefegt von dem siegreichen Überquellen dieser unerschöpflichen Fruchtbarkeit.
5
Vierzehn Monate später war Fest in Chantebled. Denis, der in der Fabrik die Nachfolge Blaises angetreten hatte, heiratete Marthe Desvignes. Und in der schmerzvollen Trauer des Hauses war dies das erste Lächeln, gleich der hellen, warmen Sonne des Frühlings nach dem harten Winter. Mathieu und Marianne, bisher in Schmerz versunken, in Trauer gekleidet, fühlten sich von sanfter Freude bewegt, angesichts dieser ewigen Erneuerung des Lebens. Die Mutter fand sich bereit, ein etwas
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