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Fruchtbarkeit - 1

Fruchtbarkeit - 1

Titel: Fruchtbarkeit - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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mechanisch wieder, vor dem Bette stehend. »Er atmet noch immer, sehen Sie, jetzt war es sehr deutlich. Wer weiß, vielleicht rettet ihn Boutan noch.«
    Aber Denis gab sich keiner Täuschung hin. Er hatte eine der regungslosen und kalten Hände seines Bruders in die seinige genommen, und er fühlte, wie sie zum Nichts wurde, als ob auch sie im Sturze zerschmettert und dem Leben entrissen wäre. Einen Augenblick stand er noch unbeweglich an diesem Trauerbette, in der sinnlosen Hoffnung, daß sein inniger Druck etwas von seinem Herzblute auf den Sterbenden übertragen könne. War dieses Blut nicht beiden gemeinsam? Hatten sie, in ihrer Zwillingsbruderschaft, es nicht gemeinsam getrunken? Die Hälfte seines Selbst starb hier dahin. Unten hatte er, nach einem Schrei furchtbaren Entsetzens, nichts mehr gesagt. Plötzlich sprach er:
    »Ich muß zu Ambroise gehen, um meinem Vater und meiner Mutter zu sagen, was geschehen ist. Er atmet noch, und sie könnten vielleicht noch früh genug kommen, um von ihm Abschied zu nehmen.«
    »Soll ich sie holen?« fragte Beauchêne bereitwillig.
    »Nein, nein, ich danke. Ich wollte Sie zuerst um diesen Dienst bitten, aber ich habe überlegt, nur ich kann meiner Mutter das Entsetzliche mitteilen… Sagen Sie auch Charlotte noch nichts. Wir werden dann sehen, wenn ich zurückgekehrt sein werde. Vielleicht verzieht der Tod ein wenig, vielleicht finde ich meinen armen Bruder noch.«
    Er neigte sich und küßte Blaise, der noch immer unbeweglich, mit geschlossenen Augen, schwach atmend dalag. Dann küßte er ihm noch mit verzweifelter Gebärde die Hand und eilte fort.
    Constance beschäftigte sich um den Verwundeten, ließ sich von der Zofe warmes Wasser bringen, um ihm die Stirn zu waschen. Man konnte nicht daran denken, ihm den Rock auszuziehen, man begnügte sich damit, ihn so viel als möglich zurechtzurichten, bis der Arzt kam. Während dieser Vorbereitungen kam Beauchêne wieder auf das Unglück zu sprechen, verstört, fassungslos.
    »Sollte man es für möglich halten? Ein solches Zusammentreffen unsinniger Zufälle! Unten rutscht der Transmissionsriemen ab, so daß der Maschinist den Aufzug nicht wieder hinaufbringen kann. Bonnard oben wird ungeduldig, ruft hinab, und steigt wütend hinunter, da er keine Antwort bekommt. Dann kommt Morange, wird auch ungeduldig, und geht seinerseits hinunter, da er von Bonnard keine Antwort bekommen kann. Und dann kommt Blaise und stürzt hinab! Der arme Bonnard, er weint wie ein Kind, er wollte sich umbringen, als er sah, was er angerichtet hatte!«
    Plötzlich unterbrach er sich, um Constance zu fragen: »Ja, und du? Morange sagte mir doch, er habe dich oben an der Oeffnung zurückgelassen?«
    Sie stand vor ihm im vollen Licht, das durchs Fenster hereinkam. Sie zwinkerte wieder nur mit den Augenlidern, und ihr linker Mundwinkel zuckte leicht.
    »Ich, ich bin sogleich durch den Gang hierher zurückgekehrt. Morange weiß es ja.«
    Morange hatte sich kraftlos, mit wankenden Knien auf einen Sessel fallen lassen. Unfähig, irgendwelchen Beistand zu leisten, erwartete er stumm das Ende von dem allen. Als er Constance mit solcher Ruhe lügen hörte, sah er sie an. Sie war die Mörderin, er bezweifelte es nicht mehr. Und ein Verlangen erfaßte ihn, es zu sagen, es laut hinauszuschreien.
    »Er glaubt aber, dich gebeten zu haben,« fuhr Beauchêne fort, »nicht wegzugehen, sondern als Wache dazubleiben.«
    »In keinem Falle habe ich etwas gehört,« erwiderte sie kalt. »Wäre ich denn fortgegangen, wenn er mich um etwas dergleichen gebeten hätte?«
    Und sich gegen den Buchhalter wendend, sah sie ihn kühn mit ihren blassen Augen an.
    »Erinnern Sie sich nur, Morange. Sie sind wie sinnlos hinuntergelaufen, und ich bin weitergegangen.«
    Unter dem Blick dieser blassen Augen, die sich stählern in die seinen bohrten, wurde er von Furcht ergriffen. Seine ganze Schwäche kehrte wieder, die ganze Mutlosigkeit seiner weichen und unselbständigen Natur. Konnte er sie eines so entsetzlichen Verbrechens anklagen? Er stellte sich die unerhörten Folgen vor. Und er wußte selbst nichts mehr gewiß, sein armer schwacher Kopf verwirrte sich. Er stammelte: »Es ist wohl möglich, ich glaubte, daß ich es gesagt hätte… Es wird wohl so sein, da es nicht anders sein kann.«
    Mit einer Gebärde unendlicher Mattigkeit verfiel er wieder in Schweigen. Er hatte die Mitschuld, die sie ihm zuschob, auf sich genommen. Einen Augenblick erfaßte ihn der Wunsch, sich zu erheben, um

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