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Fruchtbarkeit - 1

Fruchtbarkeit - 1

Titel: Fruchtbarkeit - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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ihre Stimme beben. Und dann war es zweifellos, daß sie noch hatte dort sein müssen, da er nicht einmal Zeit gehabt hatte, bis hinunter zu gelangen. Plötzlich erinnerte er sich ihres Gespräches, der Fragen, die sie gestellt hatte, des Ausrufs ihres Hasses gegen den, den man blutüberströmt unten gefunden hatte. Und unter dem eisigen Entsetzen, das ihn erstarren machte, brachte der arme Mann nichts andres heraus als: »Nun, Madame, der arme Blaise ist hinter Ihnen drein gekommen und hat sich den Schädel zerschmettert!«
    Sie spielte ihre Rolle vortrefflich, erhob zitternd die Hände und rief mit erstickter Stimme:
    »Großer Gott! Welch schreckliches Unglück!«
    In diesem Augenblicke drang ein immer stärker werdendes Geräusch durch das Haus. Die Tür des Salons war offen geblieben, und man hörte durch dieselbe Stimmen und Schritte, das dumpfe Murmeln herannahender Menschen. Auf der Treppe wurden Befehle gegeben, schwere Tritte, keuchendes Atmen wurde vernehmbar, alles was das Tragen einer ungelenken, vorsichtig gehandhabten Last begleitet.
    »Man bringt ihn herauf!« rief Constance mit einem unwillkürlichen Aufschrei, womit sie sich dem Buchhalter vollends verriet. »Man bringt mir ihn hierher!«
    Sie erhielt die Antwort nicht von Morange, der betäubt dastand, als hätte er einen Schlag auf den Kopf empfangen. Beauchêne war plötzlich erschienen; er war dem Verunglückten vorausgeeilt, fahl und verstört, von Furcht gepackt durch diesen plötzlichen Eintritt des Todes, der sein Leben der Freuden unterbrach.
    »Meine Liebe, Morange hat dir wohl gesagt, welch entsetzliche Katastrophe sich ereignet hat. Es ist noch ein Glück, daß Denis da war, um uns der Familie gegenüber zu entlasten. Und Denis war es auch, der sich widersetzte, als wir den Unglücklichen in seine Wohnung bringen wollten, indem er ausrief, daß wir seine Frau, in den Umständen, in denen sie sich befindet, töten würden, wenn wir ihr ihren Mann sterbend ins Haus brächten! Da blieb uns also nichts, als ihn hier heraufzuschaffen.«
    Er wandte sich mit verzweifelten Gebärden wieder der Treppe zu, und man hörte wieder seine bebende Stimme: »Langsam, langsam, gebt auf das Geländer acht!«
    Der traurige Zug betrat den Salon. Man hatte Blaise auf eine Matratze gebettet und diese auf eine Tragbahre gelegt. Denis, totenbleich, ging hinterdrein und hielt das Polster, auf dem der Kopf seines Bruders mit geschlossenen Augen und einer Blutspur über der Stirn ruhte, während vier Arbeiter der Fabrik die Bahre trugen. Ihre dicken Schuhe drückten den Teppich nieder, die leichten Möbel wurden beiseite geschoben, um diesem Einzug des Grausens und Entsetzens die Bahn zu öffnen.
    Beauchêne, der fortfuhr, den Transport zu leiten, dachte mitten in seiner Bestürzung daran, zu sagen: »Nein, nein, wir wollen ihn nicht hier lassen, im Nebenzimmer ist ein Bett. Heben wir ihn vorsichtig samt der Matratze auf und legen wir ihn so aufs Bett.«
    Es war das Zimmer Maurices, mit dem Bett, auf dem Maurice gestorben war, welches Zimmer Constance in ihrer mütterlichen Verehrung unverändert erhalten und dem Andenken ihres Sohnes so geweiht hatte, wie er es damals verließ. Aber was sollte sie sagen? Wie es verhindern, daß nun auch dieser Blaise hier starb, von ihr getötet?
    Dieser Greuel, diese vom rächenden Geschick gewollte Entweihung erfüllte sie mit einer solchen Empörung, daß sie davon wie gepeitscht wurde, daß es sie aufrechterhielt, als sie, von einem Schwindel befallen, den Boden unter sich weichen fühlte. Und sie bewies eine außerordentliche Willenskraft und schamlosen Mut. Als der Verunglückte an ihr vorbeigetragen wurde, straffte sich ihr magerer, kleiner Körper und schien zu wachsen. Sie sah ihn an, und ihr gelbes, unbewegliches Gesicht erlitt keine Veränderung als ein leichtes Erzittern der Augenlider und ein unwillkürliches Zucken um ihren linken Mundwinkel, das ihn ein wenig verzog. Das war alles, dann war sie wieder tadellos in Geste und Rede, tat und sagte das Nötige, ohne Ueberschwang, anscheinend bloß ergriffen durch die Plötzlichkeit des Unglücks.
    Im Zimmer war indessen das Nötige geschehen, und die Träger entfernten sich erschüttert. Sogleich nach dem Sturze hatte man dem Vater Moineaud aufgetragen, in einen Wagen zu springen und Doktor Boutan, womöglich auch einen Chirurgen, wenn er einen unterwegs finden könne, herbeizurufen.
    »Mir ist es doch lieber, daß er da ist, als im Untergeschoß,« sagte Beauchêne

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